Datum : 27.05.1995
Nr.   : 326
Thema : Gauck ./. Gysi

Amtlicher Rufmord

Der Vorsitzende der PDS im Bundestag, Dr. Gregor Gysi, erklärt:

Der »Spiegel« meldet, daß die Gauck-Behörde dem Immunitätsausschuß des Bundestages gestern (26.5.) eine sog. gutachterliche Stellungnahme zu meiner Person zugeleitet hat. Aus der Tatsache, daß die erste Agenturmeldung dazu bereits heute Nacht lief, der »Spiegel« seine Geschichte zu diesem Zeitpunkt schon geschrieben haben muß, sowie aus den in weiteren Meldungen verbreiteten Einzelheiten zu diesem »Gauck-Gutachten«, ist zu entnehmen, daß dieses Gutachten vorab schon anderen Personen zugespielt wurde. Nur ich als Betroffener habe es nicht.

So viel weiß ich allerdings: Die Gauck-Behörde kommt aufgrund des gleichen Materials, d.h. ohne eine wesentliche neue Unterlage, nunmehr zu gegenteiligen Feststellungen als bisher (5 hinzugekommene Blatt aus dem Arbeitsbuch des MfS-Offiziers Lohr enthalten auch nach Auskunft von Dr. Geiger gegenüber Lothar Bisky nichts relevant Neues). Obwohl sie noch am 21. Oktober 1994 - bei der sechsten Überprüfung - keine IM-Tätigkeit durch mich für die Staatssicherheit festgestellt hat, behauptet sie nun das Gegenteil, und dies auch noch gleich für 10 Jahre.

Ein Beispiel für den Sinneswandel der Behörde: Der Direktor der Behörde, Dr. Geiger, erklärte noch im Oktober 1994 in den «Tagesthemen«, aufgefundene Quittungen belegten keine Zahlungen oder Präsente durch die Staatssicherheit an mich. Jetzt hat er das Gegenteil unterschrieben.

An dem Verfahren zur Erstellung der Stellungnahme wurde ich zu keinem Zeitpunkt beteiligt. Hinter verschlossenen Türen kann also je nach Wunsch die eine oder die gegenteilige Feststellung getroffen werden. Mit einem rechtsstaatlichen Verfahren hat dies nichts, mit Manipulation dagegen eine Menge zu tun.

Wie kam es zum Sinneswandel der Gauck-Behörde?

Nach der entlastenden Feststellung im Oktober 1994 begann die Gauck-Behörde - ohne jeden förmlichen Auftrag - an dieser Stellungnahme zu arbeiten. Das offizielle Ersuchen der Bundestagspräsidentin ging bei der Gauck-Behörde erst nachträglich am 9.3.95 ein. Im Januar 1995 war die Stellungnahme allerdings schon fertiggestellt. Sie enthielt auch Unterstellungen, andererseits Verdachtsmomente, Wahrscheinlichkeiten, aber auch Zweifel. Gauck und Geiger verwarfen die Stellungnahme und verlangten eine neue, die mich eindeutig belasten sollte. Behördenintern wurde die Entschuldigung vorgebracht, man stünde unter starkem politischen Druck, die Behörde verschlinge im Jahr 500 Millionen DM und sei bisher nicht in der Lage, einen »Roten« abzuschießen. Es wurden immer wieder neue Stellungnahmen geschrieben. Es ist die sechste (!) Fassung, die nun dem Immunitätsausschuß übergeben wurde.

Im Ausschuß haben insbesondere der CDU-Abgeordnete Reinartz, der SPD-Abgeordnete Küster und der Vorsitzende Wiefelspütz (SPD) Druck und Tempo bei der Behörde gemacht. Das hat wohl folgenden Grund: Der Ausschuß wollte, daß er und die Medien die Gauck'sche Stellungnahme haben und verbreiten können, bevor das Bundesverfassungsgericht über einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wegen Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens entscheidet. Die Frist zur Stellungnahme für den Ausschuß läuft bis zum 31.5.95. Vermeintliche Fakten sollten vorher geschaffen werden.

Die Manipulationsabsicht wird auch durch folgenden Umstand belegt: Die mich entlastende Feststellung vom 21.10.94 ging an den PDS-Vorsitzenden Bisky. Er hat deshalb Anspruch auf Auskunft. Bei Telefongesprächen zwischen Dr. Geiger und Prof. Bisky bis in den jetzigen Monat Mai hinein versicherte Dr. Geiger stets, es gäbe nichts neues im Vergleich zur damaligen Auskunft, obwohl Gegenteiliges längst aufgeschrieben war.

Daß die Gauck-Behörde dabei schon längst andere Personen mit ihren neuen Absichten versorgte, ist einem Schriftsatz einer Prozeßgegnerin von mir an das Berliner Kammergericht vom 20.4.95 zu entnehmen. Daraus ergibt sich, daß diese von Herrn Gauck über das bevorstehende Gutachten und seine neue Tendenz informiert wurde. Eine rechtliche Grundlage für solche Informationen an Dritte gibt es selbstverständlich nicht.

Zur Stellungnahme der Gauck-Behörde sei nur soviel gesagt: Die Behörde sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt. Um mich zu einem IM zu machen, muß sie das gesamte sog. Handwerkszeug der Staatssicherheit in Bezug auf meine Person zur Fälschung erklären. Die Ablehnung des Anwerbungsvorschlages für mich durch die Staatssicherheit selbst, die Archivierung des Vorlaufs mit der Begründung, daß ich als IM nicht geeignet bin, die Nicht-Registrierung als IM, die Durchführung einer operativen Personenkontrolle gegen mich - alle diese Dokumente müssen nach ihrer Darstellung Fälschungen sein. Wenn dem wirklich so wäre, warum dann nicht auch bei anderen Personen? Oder umgekehrt, warum können dann nicht IM-Unterlagen eine Fälschung sein? Nichts muß nach diesem Gutachten mehr stimmen. Die Gauck-Behörde kann ihre Behauptungen weder belegen noch beweisen, sie operiert nur mit Vermutungen und vermeintlicher Logik und läßt andere Erklärungsmöglichkeiten völlig außer Betracht.

Wichtig ist mir die Meinung von Gauck eigentlich nicht. Am 19.5.95 hat ein unabhängiges Gericht in Kenntnis derselben Unterlagen ein dem Gauck'schen Gutachten entgegenstehendes Urteil gefällt. Das Gericht ist an rechtsstaatliche Prinzipien gebunden, die Gauck-Behörde ihrer Meinung nach offensichtlich an politische Wünsche. Es gibt für sie kein geregeltes Verfahren zur Erstellung solcher Gutachten, geschweige denn eine Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs für die Betroffenen, obwohl sie Schicksal spielt und nach Gutdünken versuchen darf, Persönlichkeiten zu zerstören.

Im mir unterstellten Sinne habe ich mir nichts vorzuwerfen. Dabei bleibt es. Trotz aller Manipulationsversuche.

Am 22.5.95 habe ich erklärt, die Prozeßflut zu beenden. Eine Ausnahme habe ich angekündigt: Daß mich eine Bundesbehörde durch Manipulation dazu zwingt. Dieser Fall ist eingetreten. Ich werde unverzüglich verfassungsrechtlich und verwaltungsrechtlich gegen die Behörde vorgehen.

Inzwischen liegen auch Unterlagen vor, aus denen sich ergibt, daß im Verhältnis zwischen dem Immunitätsausschuß des Bundetages und der Gauck-Behörde unzulässig verfahren wurde. So wurden Vorschläge für Fragen des Immunitätsausschusses an die Gauck-Behörde in der Gauck-Behörde selbst erarbeitet und die endgültigen Fragen vor Beratung und Beschlußfassung im Immunitätsausschuß durch den Abgeordneten Reinartz (CDU) an die Gauck-Behörde gesandt. Darüber hinaus hat Reinartz die Behörde u.a. gebeten, »kontraproduktive« das meint: entlastende - Fragen nicht zu beantworten. Diese Unterlagen habe ich dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung gestellt.

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