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Datum : 21.06.1995
Nr.   : 379
Thema : Gauck / Stasi


Gysi will öffentliche Anhörung vor Immunitätsausschuß

Gregor Gysi hat heute auf das späte Angebot des Immunitätsausschusses, ihm auf der Sitzung am 29.6.95 rechtliches Gehör zu gewähren, mit einem Schreiben an den Ausschußvorsitzenden Dieter Wiefelspütz geantwortet. Der Brief hat folgenden Wortlaut:

Werter Herr Wiefelspütz,

meine Neigung, Ihrer Einladung zur Sitzung des Immunitätsausschusses am 29. Juni zu folgen, ist begrenzt. Sie bieten mir rechtliches Gehör an, nachdem längst weitreichende Vorverurteilungen in die Welt gesetzt wurden, für die der Ausschuß die hauptsächliche Verantwortung trägt. Der Beschluß zur Veröffentlichung des Gutachtens der Gauck-Behörde war, wie Sie wissen, nach der vom Bundestag beschlossenen Richtlinie als auch nach den Festlegungen, die sich der Ausschuß selbst gegeben hat, unzulässig. Die Verpflichtung für Mitglieder des Immunitätsausschusses, vor Abschluß eines Überprüfungsverfahrens keine Erklärungen gegenüber der Presse abzugeben, wurde nicht eingehalten. Namentlich Frau Lengsfeld und Herr Dr. Reinartz haben öffentliche Beschuldigungen gegen mich erhoben und mich vor Abschluß des Verfahrens zur Mandatsniederlegung aufgefordert. Die entsprechenden Äußerungen der CDU- und CSU-Generalsekretäre, des FDP-Fraktionsvorsitzenden, sowie des SPD-Vorsitzenden, dürften auch nicht ohne Richtlinienwirkung für die Mitglieder ihrer jeweiligen Fraktionen gefallen sein. Allen Ausschußmitgliedern ist zumindest klar, was ihre Parteiführungen wünschen. Sie selbst - als Ausschußvorsitzender - haben das Gutachten gegenüber der Presse als »seriös« bewertet. Eine solche Qualifizierung macht ja nur Sinn, wenn Sie die darin enthaltenen Ausführungen bereits als wahr ansehen. Meine Einlassungen gegen das Gutachten im Rahmen eines rechtlichen Gehörs sind damit von vornherein als unseriös und unwahr abgestempelt. Wie sollte ich bei einem solchen Verfahren für das ich etliche weitere Beispiele nennen könnte, etwa das manipulierende Zusammenwirken zwischen einzelnen Ausschußmitgliedern und der Gauck-Behörde bis hin zum Vorschlag einer Strafverfolgung vor Abschluß des Überprüfungsverfahrens - wohl Vertrauen haben können, daß das mir angebotene rechtliche Gehör mehr ist als die nachträgliche Garnitur für ein längst feststehendes »Urteil«? Dies, wie gesagt, schränkt meine Neigung ein, Ihrer Einladung zu folgen.

Wenn ich mich dennoch dazu entschließe, dann aus folgenden Gründen:

1. Ich habe immer großen Respekt vor Menschen gehabt, die sich Vorverurteilungen nicht beugen und sich im Wissen um die Wahrheit auch solchen Verfahren stellen, in denen die Rechtsstaatlichkeit im Vorwege zu ihren Ungunsten aufgehoben wurde. Dies gilt für die bekannten Verfahren aus der Mc Carthy-Zeit in den USA und dies lasse ich nun auch für mein Verfahren vor dem Immunitätsausschuß gelten.

2. Ich habe als Rechtsanwalt in der DDR, auch in politisch brisanten Fällen, verteidigt, obwohl die Verurteilung häufig feststand (zum Beispiel im Fall von Rudolf Bahro). Ich ging damals davon aus, daß es für die Betroffenen nicht unerheblich sei, Argumente zu hören, die ihren Freispruch begründen. Außerdem hielt ich es für eine spätere juristische Aufarbeitung nicht für unerheblich, solche Argumente festgehalten zu sehen. Auch dies lasse ich nun für mich selbst und für mein Verfahren vor dem Immunitätsausschuß gelten.

Ich möchte allerdings drei Vorschläge zu meiner Anhörung vorbringen und bitte Sie, diesen zu entsprechen:

1. Bekanntlich habe ich Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben, weil ich überzeugt bin, daß durch die Verfahrensweise in Ihrem Ausschuß meine Rechte als Abgeordneter grundgesetzwidrig beeinträchtigt werden. Um dies in Ruhe überprüfen lassen zu können, habe ich zugleich den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit dem Ziel, das Überprüfungsverfahren in Ihrem Ausschuß so lange zu stoppen, bis das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache entschieden hat. Ich würde mich konträr zu meinen Anträgen verhalten, wenn ich mich vor Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in dem von Ihnen angebotenen Sinne an dem Verfahren beteiligen würde. Deshalb bitte ich Sie darum, diese Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht abzuwarten. Sollte meinem Antrag stattgegeben werden, so würde die Anhörung zunächst zumindest bis zur Entscheidung in der Hauptsache - entfallen. Sollte der Antrag abgelehnt werden, kann Ihr Überprüfungsverfahren fortgesetzt werden und die Anhörung stattfinden. Die dadurch eintretende Verzögerung wäre nicht erheblich, da das Bundesverfassungsgericht angekündigt hat, über den Antrag bis Ende Juni / Anfang Juli zu entscheiden. Im Falle der Ablehnung bestünde also auf jeden Fall die Möglichkeit, mich in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause anzuhören, d.h. Anfang September. Auch in einem solchen Falle ist der Ausschuß noch in der Lage, rechtzeitig vor den Wahlen in Berlin (22. Oktober) seinen abschließenden Bericht zu beschließen.

2. Im Schriftsatz Ihres Prozeßbevollmächtigten an das Bundesverfassungsgericht wurde darauf hingewiesen, daß ich durchaus berechtigt sei, den Ausschuß um die Anhörung von Zeugen zu ersuchen. Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, auf welcher rechtlichen Grundlage eine Zeugenanhörung stattfinden würde.

3. Da bislang keine Scheu bestand, die Medien aus dem Ausschuß heraus mit Beschuldigungen gegen mich zu versorgen, schlage ich vor, die Sitzung, in der meine Anhörung stattfindet, gleich öffentlich durchzuführen. Dann muß niemand die Vorhaltungen gegen mich und meine Einlassungen dazu im Nachhinein und unter Verletzung der Regularien öffentlich machen.

Mit freundlichen Grüßen Dr. Gregor Gysi

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