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Datum : 12.03.1996
Nr.   : 811
Thema : Gauck ./. Gysi


»... eine von mehreren denkbaren Meinungen...« Das Pressebüro der PDS-Bundestagsgruppe teilt mit:

Gregor Gysi hatte im Juni 1995 beim Verwaltungsgericht in Berlin beantragt, der Gauck-Behörde bestimmte Aussagen aus der sogenannten gutachterlichen Stellungnahme gegenüber dem Immunitätsausschuß des Bundestages und in weiteren Zusammenhängen zu untersagen. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte den Antrag im Juli 1995 im Wesentlichen als unzulässig zurückgewiesen, weil die gutachterliche Stellungnahme kein eigener Verwaltungsrechstakt sei, gegen den sich Gregor Gysi vor dem Verwaltungsgericht wehren könne.

Die dagegen eingelegte Beschwerde von Gregor Gysi hat das Oberverwaltungsgericht in Berlin durch Beschluß vom 6. März 1996 zurückgewiesen. Die Begründung ist bemerkenswert. Sie entzieht dem Gauck-Gutachten zum Teil auch die inhaltliche Bedeutung.

1. Nach Auffassung des OVG habe die Gauck-Behörde die Öffentlichkeit überhaupt nicht einschalten wollen. Die Gauck-Behörde habe nur die Absicht gehabt, ein internes Gutachten für einen Bundestagsausschuß zu liefern. Daß das Gutachten breit in den Medien diskutiert wurde, sei nicht Absicht der Gauck-Behörde gewesen und von ihr auch nicht zu verantworten. Das OVG geht davon aus, daß man zwischen internen Äußerungen und Äußerungen für eine breite Öffentlichkeit unterscheiden müßte.

2. In diesem Zusammenhang weist das OVG zusätzlich darauf hin, daß eine einstweilige Anordnung nur erlassen werden könne, wenn eine Wiederholungsgefahr bestünde. Es kann seinerseits aber nicht erkennen, daß die Gauck-Behörde die Äußerungen aus der gutachterlichen Stellungnahme noch einmal wiederholen wird, schon gar nicht gegenüber der Öffentlichkeit. Auch deshalb meint das OVG, keine einstweilige Anordnung erlassen zu müssen.

3. Auch die Verhältnismäßigkeit sieht das OVG nicht verletzt, eben, weil angeblich die Gauck-Behörde davon ausgehen konnte, daß sie die Stellungnahme an einen »durch Vertraulichkeit gebundenen Ausschuß« weiterleitet. Für das andere Verhalten des Bundestagsausschusses trage aber die Gauck-Behörde keine Verantwortung.

4. Das OVG erklärt darüber hinaus, daß die Gauck-Behörde zu keinem Zeitpunkt schriftlich oder mündlich behauptet habe, daß Gregor Gysi IM der Staatssicherheit gewesen sei oder von dieser Zuwendungen erhalten habe. Da die Gauck-Behörde solche Behauptungen entgegen der Darstellung von Gregor Gysi nicht aufgestellt habe, können der Gauck-Behörde solche Behauptungen auch nicht untersagt werden. Wörtlich führt das OVG aus: »Die Äußerung, der Antragsteller sei inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der früheren DDR gewesen, findet sich in der gesamten gutachterlichen Stellungnahme nicht.« Und an anderer Stelle heißt es: »Desgleichen findet sich die vom Antragsteller gerügte Äußerung, er habe Zuwendungen seitens des Staatssicherheitsdienstes erhalten, weder... innerhalb oder außerhalb der gutachterlichen Stellungnahme...«

So wie schon die Gauck-Behörde, geht auch das OVG davon aus, daß die Gauck-Behörde zu keinem Zeitpunkt behauptet hätte, daß Gregor Gysi IM der Staatssicherheit war oder von dieser Zuwendungen erhalten hat. Wenn also mehrere Medien meinten, so etwas aus der gutachterlichen Stellungnahme herauslesen zu können, so widerspricht dies auf jeden Fall dem Verständnis der Gauck-Behörde selbst und dem Verständnis des OVG. Wer solches behauptet, kann sich also nicht länger auf die gutachterliche Stellungnahme der Gauck-Behörde stützen.

5. Hinsichtlich der weiteren, von Gregor Gysi angegriffenen Äußerungen der Gauck-Behörde geht das OVG davon aus, daß es sich nicht um Tatsachenbehauptungen handelt, und daß deshalb ein Wahrheitsgehalt solcher Äußerungen nicht erforderlich ist. Wörtlich führt das OVG aus: »Der Wahrheitsgehalt der streitigen Äußerungen scheidet als Beurteilungsmaßstab aus, weil darin Tatsachenbehauptungen nicht enthalten sind. Der Bundesbeauftragte hat Behauptungen über 'in der Wirklichkeit' geschehene, beweisbare Sachverhalte nicht aufgestellt.« ... »Die gebotene Berücksichtigung des bestehenden textlichen und inhaltichen Zusammenhangs weist die streitigen Äußerungen vielmehr als Werturteile aus.« ... »Die schon vom Verwaltungsgericht aufgezeigte Fülle relativierender Wendungen des Dafürhaltens und Meinens schließt jeden Zweifel am Wertungscharakter aus. Der Bundesbeauftragte hat seine subjektive Überzeugung als Sachverständiger dargelegt. Sie präsentiert sich von vornherein ohne weitergehenden Anspruch als eine von mehreren denkbaren Meinungen, mag richtig oder unrichtig und mehr oder weniger überzeugend sein, ist aber ihrer Zielrichtung nach Wertung und wird vom Leser auch so verstanden.«

Damit sagt das OVG nicht mehr und nicht weniger als, daß alles, was die Gauck-Behörde aufgeschrieben hat, ebenso wahr wie auch falsch sein kann. Darauf käme es aber nicht an, weil entgegen der medialen Darstellung die Gauck-Behörde keine Tatsachen behauptet, sondern nur Wertungen, daß heißt Meinungen, vertreten habe, was zulässig sein soll. Eine Untersagung wäre nur dann möglich, wenn offenkundige Willkür vorliegen würde. Dies sei nach Auffassung des OVG nicht gegeben. »Definitive Richtigkeit im Sinne von Unwiderleglichkeit oder auch nur Stringenz ist - anders als gegebenenfalls die Wahrheit behaupteter Tatsachen - kein Rechtmäßigkeitserfordernis der Äußerungen und deshalb im ehrenschutzrechtlichen Untersagungsverfahren nicht Prüfungsmaßstab.« Mit anderen Worten sagt das OVG an dieser Stelle, auf die Wahrheit komme es hierbei nicht an.

Dazu kann man auch eine andere Auffassung vertreten, denn ansonsten gilt für Verwaltungsbehörden schon, daß sie sich negativ über einzelne Bürgerinnen und Bürger nur äußern dürfen, wenn diese negativen Äußerungen nachweislich wahr sind. Hier soll Sonderrecht für die Gauck-Behörde installiert werden. Deshalb überlegt Gregor Gysi, sich innerhalb der gesetzlich geregelten Monatsfrist mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht zu wenden.

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