Aus dem Deutschen Bundestag:
zur Postüberwachung, Debatte vom 06.02.1963
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch den 6. Februar 1963
Seiten 2569 und 2570 des stenografischen Protokolls.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatzfrage. Frage VI/5 – des Herrn Abgeordneten Freiherrn von Mühlen –:
Hält es die Bundesregierung für vereinbar mit dem im Artikel 10 GG garantierten Brief- und Postgeheimnis, daß ein an eine Stuttgarter Privatadresse gerichteter Privat-Brief aus der SBZ beim Zollamt Stuttgart-Post zollamtlich geöffnet und kontrolliert und erst danach dem Empfänger zugestellt wurde, wobei sich das Zollamt auf das Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 (BGBl. I S. 607) berief und, nach Beschwerdeführung des Empfängers, sein Vorgehen in einem hektographierten Schreiben (AZ O 3041 – A) damit begründete, daß nach diesem, das Grundrecht des Artikels 10 GG einschränkenden Gesetz "von wenigen Ausnahmen abgesehen praktisch jeder Brief (aus der SBZ) als verdächtig angesprochen werden kann"?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums.
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen: Die Zollbehörden sind nach dem Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 verpflichtet, die Einhaltung der aus Gründen des Staatsschutzes erlassenen strafrechtlichen Einfuhr- und Verbreitungsverbote zu überwachen. Dem in § 93 des Strafgesetzbuches enthaltenen Einfuhr- und Verbreitungsverbot für staatsgefährdendes Propagandamaterial kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Zum Zweck der Überwachung haben die Zollbehörden nach dem erwähnten Gesetz das Recht und die Pflicht, u. a. auch Postsendungen zu öffnen und zu kontrollieren; dies gilt jedoch nur dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorhanden sind, daß illegales Agitationsmaterial eingeschleust wird. Wird der Verdacht durch die Überprüfung bestätigt oder nicht ausgeräumt, so haben die Zollbehörden die Sendung der Staatsanwaltschaft vorzulegen; andernfalls sind sie der Post zur Weiterleitung an den Empfänger zurückzugeben.
Damit nun die Zollbehörden ihrer Überwachungspflicht nachkommen können, haben die Postbehörden nach dem Gesetz Sendungen, bei deren dienstlicher Behandlung sich tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer solchen illegalen Einschleusung ergeben, den Zolldienststellen zur Vornahme der geschilderten Prüfung vorzulegen.
Seit Jahren strömen täglich massenweise als Privatbriefe getarnte Postsendungen mit verfassungsfeindlichem Propagandamaterial aus der sowjetischen Besatzungszone in die Bundesrepublik. Es werden in der Zone sogar solche Schriften in Kleinformat eigens zum Briefversand in die Bundesrepublik hergestellt. Schulklassen, Betriebe und Hausgemeinschaften werden angehalten, die zum Teil aus Telefon- und Adreßbüchern entnommenen Anschriften solcher Massensendungen zu schreiben. Auch diese scheinbaren Privatbriefe, die aber oft tatsächliche Anhaltspunkte dafür aufweisen, daß sie in Wirklichkeit illegales Agitationsmaterial enthalten, hat die Post auf Grund der erwähnten gesetzlichen Verpflichtung den Zolldienststellen zur Prüfung vorzulegen.
Es trifft also nicht zu, daß praktisch jeder Brief aus der sowjetischen Besatzungszone nach dem erwähnten Gesetz zollamtlich geöffnet werden darf; denn wie ich eben ausgeführt habe, sind Postsendungen nur dann von den Postbehörden den Zollbehörden zur Prüfung vorzulegen und von den Zollbehörden zu öffnen und zu kontrollieren, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der illegalen Einschleusung von strafgesetzwidrigem Agitationsmaterial gegeben sind.
Das Zollamt Stuttgart-Post ist angewiesen worden, Beschwerden künftig in persönlich gehaltenen Schreiben zu beantworten und die beanstandete mißverständliche Formulierung zu unterlassen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
Freiherr von Mühlen (FDP): Herr Staatssekretär, liegen irgendwelche Bestimmungen darüber vor, nach welchen Kriterien die Verdächtigkeit von Briefen aus der SBZ zu beurteilen sind, oder heißt es einfach "bestimmte Tatbestände"? Wer beurteilt die Tatbestände, und nach welchen Richtlinien erfolgt die Beurteilung?
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen: Ich habe Zweifel, ob die Beantwortung der Frage an diesem Ort angebracht ist. Aber es sind schon äußere Umstände, die es für jeden Beschauer erkennbar werden lassen, daß ein solcher Verdacht besteht.
Freiherr von Mühlen (FDP): Darf ich also annehmen, daß intern entsprechende Richtlinien für die Beurteilung ergangen sind?
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen: Jawohl.
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(Hervorhebungen im Original)
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