Zu Anfängen der deutsch-deutschen Spionage ab 1945

 

Aussagen von General Reinhard Gehlen, zitiert aus seinem Buch "Der Dienst", Erinnerungen 1942–1971

 

Einleitung

Seite 10:

Erziehung im Elternhaus, Abitur, Eintritt in die Reichswehr, Ende 1923 Leutnant, dann der Dienst in wechselnden Stellungen in Truppen und Stäben, alles dies entspricht dem Lebensgang jedes beliebigen Generalstabsoffiziers, ohne daß dies allgemeines Interesse beanspruchen dürfte, bis ich am 1. 4. 1942 zum Chef der Abteilung Fremde Heere Ost im Generalstab des Heeres ernannt wurde.

Dieser Einschnitt in meinem Leben ist es, der mich veranlaßt und, wie ich meine, auch berechtigt, meine Erinnerungen zu veröffentlichen. Denn ohne mein Zutun nahm von diesem Zeitpunkt an mein Leben eine Wendung zum Einmaligen und Außergewöhnlichen. Vom 1. 4. 1942 an trug ich an wesentlicher Stelle Verantwortung und wirkte viele Jahre auf dem Gebiete des Nachrichtendienstes, das für die Sicherheit jedes Landes von außerordentlicher Bedeutung ist.

1. Kapitel: "Fremde Heere Ost"

 

Seiten 17 und 18:

Am 1. April 1942 wurde ich zum Chef der 12. Abteilung des Generalstabes des Heeres, der Abteilung Fremde Heere Ost, ernannt, der Stelle also, die sich mit der Lage beim sowjetischen Gegner befaßte. Die Ernennung erfolgte, weil Generaloberst Halder einen Wechsel an der Spitze der Abteilung noch vor Beginn der geplanten Offensive in Richtung auf Wolga und Kaukasus für wünschenswert hielt. Daß seine Wahl auf mich fiel, mochte einmal in der Tatsache begründet sein, daß ich von Ende 1939 bis Anfang Oktober 1940 als sein persönlicher Generalstabsoffizier, später innerhalb der Operationsabteilung bis zu meiner Ernennung als Bearbeiter der bevorstehenden Operation tätig war. Ich war deshalb mit den Absichten, dem Kräfteeinsatz sowie den Zwischen- und Endzielen der Planung bis in alle Einzelheiten vertraut.

Die Lage Anfang April 1942 war dadurch gekennzeichnet, daß es gelungen war, die vor allem in den Abschnitten der Heeresgruppe Mitte und Süd während der Wintermonate erschütterte Front wieder zu stabilisieren. Die Rückschläge hatten stellenweise zu beträchtlichen Geländeverlusten geführt: sie waren nicht bereinigt worden. Eine Menge Material war verlorengegangen. Schlimmer wog jedoch, daß sich der deutsche Soldat nach zwei Jahren des Sieges zum ersten Male wenn auch nicht mit der Niederlage, so doch mit ernsten Rückschlägen konfrontiert gesehen hatte. Dies mußte, auch wenn die Schuld vornehmlich den Witterungseinflüssen – dem Schlamm und den Kältegraden bis zu Minus 56 Grad – sowie der anfänglich fehlenden Winterausrüstung bei sehr stark abgesunkenen Gefechtsstärken zugeschrieben wurde, gefährliche psychologische Folgen nach sich ziehen.

Seite 22:

Bei allen Schwierigkeiten, die die streng durchgeführte Abschirmung der Sowjetunion und das mit dem Hitler-Stalin-Pakt ergangene "Führer-Verbot" jeder Aufklärung mit Mitteln des geheimen Nachrichten-dienstes in der SU bereitete, war es meinem Vorgänger gelungen, ein einigermaßen zutreffendes Bild der sowjetischen Wehrkraft, der Kriegsgliederung, sowie der Aufmarschvorbereitungen und operativen Planungen der sowjetischen Streitkräfte zu gewinnen. Auf diesen Feststellungen konnte der Feldzugsplan "Barbarossa" entwickelt und im Ablauf der Ereignisse weiter aufgebaut werden.

 

2. Kapitel: Politische, militärische und psychologische Faktoren im Kriege

 

Seiten 97 und 98:

Über den von ihm angestrebten politischen Zweck hatte Hitler keine Unklarheit gelassen. Er wollte ein für allemal die bolschewistische Gefahr aus dem Osten beseitigen und, wie er schon in "Mein Kampf" angedeutet hatte, dem deutschen Volk den von ihm als notwendig erachteten "Lebensraum" im Osten gewinnen. In seinen Proklamationen betonte er selbstverständlich das erste Argument. Von der deutschen Propaganda wurde ebenso einhellig die Befreiung Rußlands vom Kommunismus als Kriegsziel herausgestellt. Angesichts der gewaltigen Rüstung, auf die der deutsche Soldat auf Schritt und Tritt stieß, fand dieses angebliche Ziel bei der Truppe Verständnis.

Die militärische Führung freilich beurteilte, wie schon kurz angedeutet, von Anfang an die Aussichten, den Staat Sowjetunion mit den zur Verfügung stehenden Mitteln total zu zertrümmern, äußerst skeptisch, auch wenn man von der Überlegenheit der eigenen Truppe und Führung überzeugt war.

Seiten 112 und 113:

Ich bin auch heute noch überzeugt, daß das militärische Feldzugsziel von 1941 ohne die verderblichen Eingriffe Hitlers, deren wesentlichster zur Schlacht von Kiew führte, erreicht werden konnte. Was dann die Folge gewesen wäre, steht dahin, da Hitlers Ziel in der Gewinnung von "Lebensraum" bestand. Dies hätte aber die totale Zerschlagung des Staates Rußland, nicht die von uns erstrebte maßvolle und wirklichkeitsnahe politische Lösung mit dem Fortbestand Rußlands bedeutet. Aber auch nach dem Rückschlag des Winterfeldzuges 1941/42 war die Lage noch keineswegs hoffnungslos, sondern bei vernünftigem Vorgehen sogar erfolgversprechend. Freilich mußte erkannt werden, daß dieses weiträumige und an Menschen und Rohstoffen reiche Land letztlich nur mit Hilfe der Russen selbst bezwungen werden oder besser: vom Kommunismus befreit werden konnte. Dies gebot schon – abgesehen von allen Möglichkeiten, die auf Grund der Abneigung gegen das Stalinistische System im besonderen und den Kommunismus im allgemeinen gegeben waren – der eigene Selbsterhaltungstrieb. Hitler wollte dies nicht wahrhaben. Daß er das psychologische Potential der Völker der Sowjetunion, die in der ersten Phase des Krieges den Deutschen gegenüber mit großen Teilen eine verständigungsbereite Haltung eingenommen hatten, nicht nur nicht ausnutzte, sondern durch seine Sachwalter, wie Koch, Sauckel und Kube, als Satrapen in unerträglicher Weise belastete und die enttäuschten Hoffnungen der Menschen in Haß verwandelte, macht den eigentlichen Fehler des Diktators aus.

Seite 115:

Im Gegensatz zu früher sind Kriege heutzutage grundsätzlich Volkskriege. An ihnen ist nicht nur wie im 18. Jahrhundert die bewaffnete Macht beteiligt. Sie werden vom Volksganzen unter entsprechenden Opfern getragen und unter Einsetzung des gesamten vorhandenen Potentials, einschließlich des psychologischen, durchgekämpft. Hinzu kommt die Aufspaltung der Welt in zwei große, sich ideell gegenseitig ausschließende gesellschaftlich-weltanschauliche Lager, die sogenannte Freie Welt und der Weltkommunismus, die eine weitere, tief in das Emotionelle hineinreichende Verschärfung des kriegerischen Geschehens bewirkt.

3. Kapitel: Zusammenbruch, Gefangenschaft und neuer Anfang

Seiten 121 bis 124:

Abgesehen von den Sorgen um die eigenen Familien beschäftigten uns damals unsere persönlichen Zukunftserwartungen wenig. Dies war nicht erstaunlich, hatten wir doch durch geglückte nachrichtendienstliche Operationen jeweils schon kurz nach den Konferenzen von Teheran und Jalta die alliierten Zerschlagungs- und Aufteilungspläne, die für Deutschland bestanden, erhalten. Wir gaben uns also keinen Illusionen über das, was dem Deutschen Reich bevorstand, hin. Wir hegten auch keine Hoffnungen, daß es unmittelbar nach Kriegsende zum Bruche der gegnerischen Koalition kommen könne, ein Glauben, der in der kämpfenden Truppe vielfach vorhanden war. Wir konnten uns aber auch nicht mit dem Gedanken abfinden, daß nunmehr endgültig das Ende Deutschlands gekommen sei. Dieses Sich-nicht-abfinden-Wollen drängte mir darüberhinaus Überlegungen darüber auf, welche Verpflichtungen sich für mich aus meiner damaligen Stellung heraus für die Zukunft nach dem Kriege ergeben. Es war klar, daß, wenn der Faden erst einmal abgerissen war, der Wiederaufbau eines fundierten und leistungsfähigen Nachrichtendienstes Jahre danach sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein mußte. Hierbei fiel auch ins Gewicht, daß der Ostgegener, je längere Zeit vergehen würde, um so bessere Möglichkeiten fände, um in breiter Front in einen neuen Dienst einzudringen. Hieraus ergab sich, so aussichtslos und widersinnig dies im Frühjahr 1945 auch erschien, daß der Versuch gemacht werden müsse, – wenn möglich ohne wesentliche Unterbrechung – den Kern für einen neuen deutschen Nachrichtendienst zu schaffen. Denn daß eine künftige deutsche Regierung einen Nachrichtendienst benötigen würde, war für mich selbstverständlich. Die Personallage würde es gestatten, wenn man sofort nach Kriegsende anknüpfen konnte, einen entsprechenden Personalstamm aus den bisher verfügbaren Nachrichtenleuten und meinen bewährten Mitarbeitern zusammenzustellen.

Auch außenpolitische Überlegungen zwangen zu dem Gedanken, den Kern des bisherigen Auslandsnachrichtendienstes zu retten, sobald und soweit dies überhaupt möglich war. Nur scheinbar hatte der Kommunismus sein Gesicht geändert. Stalin hatte die Energien des russischen Volkes mobilisiert, indem er auf den Begriff des vaterländischen Kampfes zurückgegriffen und eine Art Sowjetpatriotismus geschaffen hatte. Hitlers sinnlose Ostpolitik und sein Verhalten gegenüber dem russischen Menschen hatte dem russischen Diktator alle Wege geebnet, mit diesem Gedanken an sein Volk heranzukommen. So wie wir den Kommunismus über Jahre hinweg kennengelernt hatten, war es uns klar, daß Stalin seine Absichten nicht ändern, sondern daß er weiter expansiven Vorstellungen folgen würde. Sein Ziel, mit westlichen Worten ausgedrückt, konnte weiterhin nur die Weltrevolution sein, um – östlich formuliert – "die Segnungen des Sozialismus allen Völkern zu bringen". Wir erwarteten, daß die Verteidigung der westlichen Völker gegen den Zugriff des Kommunismus diese nach dem Kriege früher oder später zu gemeinsamem Handeln führen müsse.

Wann dieser Zeitpunkt gekommen sein würde, konnten wir freilich nicht wissen – nicht einmal ahnen. Wir wurden in dieser Überzeugung durch eine Lagebeurteilung Churchills bestärkt, die uns im Februar 1945 auf verschlungenen Wegen in die Hände kam. Die Analyse beurteilte unsere eigene deutsche Situation viel zu positiv, zeichnete aber ein richtiges Bild des sowjetische Potentials und der sowjetischen Absichten. Sie ließ vermuten, daß die Briten nicht den Optimismus ihrer amerikanischen Bundesgenossen teilten, "Onkel Joe" habe sich zum Demokraten gewandelt. Sie zeigte auch ohne jede Illusion die zukünftige Entwicklung Polens sowie der Balkanstaaten einschließlich Ungarns zu sozialistischen Staatsgebilden auf. Ich habe den Chef des Generalstabes, Generaloberst Guderian, über das Vorhandensein dieses explosiven Papiers informiert und es dann im Einverständnis mit ihm zu den Akten genommen. Bei Kriegsende wurde es vernichtet.

In einem Europa, das sich zur Verteidigung gegen den Kommunismus rüstete, konnte auch Deutschland wieder seinen Platz finden. Die zukünftige deutsche Politik würde daher Anlehnung an die westlichen Siegermächte suchen und zwei politische Ziele anstreben, nämlich die Abwehr des kommunistischen Zugriffs und die Wiedervereinigung mit den verlorengegangenen Teilen Deutschlands. Das zweite Ziel würde zwar sicher den Vorstellungen der Siegermächte nur begrenzt entsprechen. Aber das gemeinsame Verteidigungsinteresse der westlichen Welt, das sich zwangsläufig ergeben mußte, würde doch wohl zu der Erkenntnis führen, daß ohne die Deutschen die Verteidigung Europas unmöglich sei. Nachrichtendienstlich mußte bei allen Westmächten, und zwar ziemlich frühzeitig, wenn auch in unterschiedlicher Weise, ein besonderes Interesse an der Nutzung des deutschen nachrichtendienstlichen Potentials für die Ostaufklärung zu erwarten sein.

Als unsere Überlegungen bis zu diesem Punkt gelangt waren, ergab sich natürlich nahezu von selbst die Frage, mit welchem Partner und in welcher Form man die Arbeit am besten fortsetzen könnte. Ich habe mich auch darüber mit meinem ersten Mitarbeiter, dem damaligen Oberstleutnant Wessel, unterhalten.

Das Ergebnis unserer sich über Wochen erstreckenden Erwägungen kann man etwa in folgendem zusammenfassen: Es ist wahrscheinlich utopisch, angesichts der totalen Niederlage, die uns bevorsteht, schon jetzt dem Gedanken nachzugehen, frühzeitig nach dem Kriege einen neuen deutschen Nachrichtendienst wieder aufzubauen, da die Alliierten bei Kriegsende alle Einrichtungen des Dritten Reiches völlig zerschlagen werden. Trotzdem muß dieser Versuch unternommen werden, damit – bei Gelingen – eine spätere deutsche Regierung diese Organisation, in der das jetzt vorhandene Personal den Rahmen bildet, übernehmen kann. Die Frage, wann eine deutsche Regierung wieder existieren wird, ist jetzt nicht zu beantworten. Es ist auch offen, (März/April 1945!), ob es gelingen wird, nach dem Kriege mit einer der drei westlichen großen Siegermächte eine Form der Zusammenarbeit zu finden, die auch für eine spätere deutsche Regierung akzeptabel ist. Wir können und wollen nicht mit dem bisherigen Gegner gewissermaßen auf Söldnerbasis zusammenarbeiten, damit der zukünftige Dienst nicht von vornherein mit dem psychologischen Quisling-Makel belastet werden kann.

Insgesamt schien es mir zweckmäßigsten zu sein, vor allem an die amerikanischen Streitkräfte heranzutreten. Die Amerikaner, so vermutete ich, würden nach Abschluß der Kämpfe früher als unsere europäischen Gegner zur Objektivität gegenüber den Deutschen zurückfinden. Wie die Ereignisse bewiesen haben, war diese Erwartung durchaus richtig.

Seite 125:

Mitte April hatten meine Vorbereitungen, wie die Versorgung verschiedener Schlupfwinkel im Gebirge, die Photokopie der wichtigen Akten und Vergrabungsaktionen, begonnen; sie waren in den letzten Tagen vor Kriegsende abgeschlossen.

Seite 126 und 127:

Es handelte sich hierbei vor allem um die Sicherstellung des Archivs und der Arbeitsunterlagen, die wir in der Zukunft brauchen würden. So waren zunächst im Rahmen der Verlagerung der Akten alle Arbeitsunterlagen und Karteien frühzeitig nach Bayern gebracht worden; sie wurden ein zweites Mal photokopiert und schließlich in der Nähe des Wendelsteins, im Allgäu, sowie im Hunsrück dezentralisiert vergraben. Wir rechneten richtigerweise damit, daß die Entdeckung einzelner Verstecke nicht verhindert werden könnte. Durch das Doppeltvorhandensein an verschiedenen Stellen wurde erreicht, daß später zwar nicht alles wiedergefunden wurde, aber doch von jedem Vorgang wenigstens ein Exemplar bzw. ein Satz vorhanden war.

Seite 128:

Um das notwendige Schlüsselpersonal für die spätere Arbeit sicherzustellen, wurden drei Gruppen gebildet, die sich an drei vorbereiteten Punkten in den Alpen solange – etwa 3 Wochen – aufhalten sollten, bis das große Durcheinander, das bei Kriegsende zu erwarten war, in einigermaßen überschaubare Verhältnisse übergegangen war. Dann sollten sich diese Gruppen bei der nächsten amerikanischen Ortskommandantur melden und sich in Gefangenschaft begeben. Da zu erwarten war, daß die Amerikaner versuchen würden, dieses Ic-Personal mit längerer Erfahrung in eigener Regie selbst einzusetzen, wurden die Gruppen angewiesen, sich zu keiner Mitarbeit bereitzuerklären, bevor sie einen schriftlichen Befehl von mir persönlich erhalten hätten. Die Sicherstellung und Vorbereitung der drei Zufluchtsorte in den Alpen übernahm mit großem Geschick ein Reserve-Offizier der Abteilung, Oberforstmeister Weck. Die Hütten mußten schwer zu finden und doch leicht zu versorgen sein. Vor allem das Vorhandensein von Wasser war eine Lebensfrage. Es war weiterhin notwendig, daß man von diesen Schlupfwinkeln aus die Annäherungswege gut beobachten, sich gleichzeitig aber auch bei Gefahr unbemerkt entfernen konnte. Das waren schwer erfüllbare Forderungen, aber Weck schaffte es. Er fand in der Nähe von Fritz am Sand bei Reit im Winkel, auf der Wildmoosalm im Wilden Kaiser, sowie auf der Elendsalm am Spitzingsee die für uns geeigneten Schlupfwinkel.

Seite 134:

Während der beiden Pfingstfeiertage genossen wir die Gastfreundschaft der Eltern Erwins, mit denen wir viel zu erzählen hatten. Am Dienstag früh machten wir uns mit unseren Rucksäcken auf den Weg zum Bürgermeisteramt, in dem der Ortskommandant sein Domizil aufgeschlagen hatte. Ich kann mich noch gut an meine damaligen Gefühle erinnern. Auf der einen Seite empfand ich eine Art Galgenhumor, daß ich – immerhin Generalmajor in einer wesentlichen Stellung während des Krieges – mich nunmehr einem jungen amerikanischen Oberleutnant ausliefern mußte. Andererseits gab es kein Zurück. Der Ortskommandant war verständlicherweise sehr aufgeregt, als sich bei ihm ein General und vier Generalstabsoffiziere meldeten. Welchen "Fang" er gemacht hatte, konnten wir ihm nicht auseinandersetzen, da er kein Deutsch und wir damals kein Englisch sprachen.

Seite 136 bis 138:

Generaloberst Halder befand sich bei einer Gruppe von Zivilisten und Offizieren, die die Amerikaner aus den Konzentrationslagern herausgeholt und nunmehr ihrerseits inhaftiert hatten. Die meisten gehörten der Widerstandsgruppe des 20. Juli an, unter ihnen auch der frühere Staatssekretär Pünder. Zusammen mit dieser Gruppe wurde ich in der "Villa Pagenstecher" untergebracht, die als Vernehmungslager der obersten amerikanischen Kommandobehörde in Europa "USFET" (United States Forces European Theatre) diente.

Ich war also doch nicht von Augsburg "abgeschoben" worden, wie ich zunächst geglaubt hatte. In Wiesbaden befand sich eine Anzahl ziviler und militärischer Gefangener, die für die Amerikaner aus politischen oder militärischen Gründen von Bedeutung waren.

Schon am Tage nach meinem Eintreffen wurde ich am Vormittag in den Garten heruntergeführt, wo mich ein Captain mit Namen Hallstedt begrüßte und sich mit mir in die Sonne auf eine Bank setzte. Captain Hallstedt war ein adrett aussehender, sympathisch wirkender Offizier. Er mochte etwa 35 Jahre alt sein und entsprach in seiner Haltung und seinem Auftreten unseren deutschen Vorstellungen über den Offizier schlechthin. Er war, wie ich später erfuhr, von deutscher Abstammung, Amerikaner in der zweiten Generation. In Hallstedt traf ich den ersten amerikanischen Offizier, der rußlandkundig war, der die kommende politische Entwicklung illusionslos einschätzte und sich darüber eigene Gedanken machte.

Diese Begegnung sollte die entscheidende sein für die weitere Entwicklung meiner Pläne. Sie hatte aber auch erfreuliche menschliche Folgen. Unser "dienstlicher" Kontakt dauerte nur verhältnismäßig kurze Zeit, nach anfänglicher Reserve auf beiden Seiten wurden wir bald enge Freunde und sind es bis auf den heutigen Tag geblieben.

Wir führten ein langes Gespräch über die politische und militärische Lage, er erkundigte sich eingehend nach meiner früheren Tätigkeit. Nachdem er gegangen war, hatte ich nunmehr eine Nacht Zeit, um mir darüber klar zu werden, ob ich die Karten auf den Tisch legen sollte. Ich tat dies nicht sofort in vollem Umfange, sondern wir tasteten uns in mehreren Gesprächen zunächst weiter aneinander heran. Hierbei ergab sich nebenbei die Möglichkeit, allmählich meine Gedanken über die Zukunft sowie über meine Absichten und Zielvorstellungen einfließen zu lassen. Die Reaktion des Captains war positiv. Ich nehme an, daß Hallstedt seinen Vorgesetzten, dem G-2 des Oberkommandos, General Sibert, sowie dem Chef des Stabes, General Bedell Smith, über unseren Dialog laufend vortrug und dabei angewiesen wurde, die Unterhaltungen im positiven Sinne fortzusetzen, denn Hallstedt wurde von Gespräch zu Gespräch aufgeschlossener.

Wir kamen schließlich überein, eine kleine Gruppe meiner früheren Mitarbeiter, unter ihnen Wessel, in Stärke von acht Offizieren zusammenzuziehen. Sie sollten den Amerikanern zeigen, über welche besonderen Möglichkeiten und Kenntnisse wir verfügten. Ich gab Hallstedt eine Reihe von Briefen und die Namen der hierfür ausgewählten Offiziere, so daß er sie aus den Kriegsgefangenenlisten ermitteln konnte, um sie nach Wiesbaden zu holen. Es dauerte viele Tage, bis die Gruppe zusammen war. Hallstedt erzählte mir nach seiner Rückkehr mit amüsiertem Lächeln, daß er alle Herren zunächst angesprochen hätte, ohne meinen Brief vorzuweisen; sie wären allesamt völlig unzugänglich gewesen, bis er den Brief, der wie eine Art "Sesam öffne dich" gewirkt habe, hervorzog. Er gab freimütig zu, wie sehr ihn diese Haltung beeindruckt habe.

Ein erster Schritt war getan. Ein kleiner Kreis meiner engsten Mitarbeiter war um mich versammelt. Damit waren wir in die Lage versetzt, uns über die verschiedensten Fragen auszusprechen und uns gegenseitig abzustimmen.

Die nächste Zeit verging mit Gesprächen über die verschiedensten Themen aus Vergangenheit und Zukunft. Meine Unterhaltungen mit Hallstedt kreisten immer wieder um das gleiche Thema: Das Zerbrechen des alliierten Bündnisses kann nur eine Frage der Zeit sein.

Seite 139:

Zunächst einmal stand noch keineswegs fest, daß mein Vorschlag, das deutsche nachrichtendienstliche Potential für die USA nutzbar zu machen, außerhalb des amerikanischen G-2-Dienstes positiv aufgenommen werden würde. Der G-2-Dienst freilich wußte, wie gering die eigenen Kenntnisse über "Uncle Joe" und sein Imperium im Augenblick waren. Dem G-2-Dienst mußte daher, wie die bisherigen Gespräche gezeigt hatten, das Angebot auf Zusammenarbeit nicht nur einleuchten, sondern sogar verlockend erscheinen. Seine Annahme würde ihm viele organisatorische Arbeit ersparen. Sie gewährleistete außerdem den Zugang zu Erkenntnissen, deren Beschaffung aus eigener Kraft erst nach Jahren möglich gewesen wäre.

Seiten 140 bis 142:

Wenn auch die Ernüchterung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber der Sowjetunion bereits um die Jahreswende 1945/46 nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen im Iran einsetzte, so bedurfte es doch noch des Korea-Krieges, um auch dem letzten Amerikaner die Augen für die "Realitäten" zu öffnen.

Es war deshalb verständlich, daß zunächst keine Entscheidungen getroffen wurden und wohl auch von USFET in diesem Zeitpunkt nicht getroffen werden konnten. Statt dessen wurde ich zusammen mit sechs Angehörigen des deutschen Ic-Dienstes, die ich bestimmen konnte, in die USA verlegt. Wessel ließ ich als meinen Vertreter und Platzhalter zurück. Es blieb zwischen uns beiden bei der Abmachung, daß er nur mit meiner Zustimmung aktiv werden, im übrigen aber versuchen solle, zu früheren und potentiellen Mitarbeitern – wie z. B. auch zu Baun – Verbindung zu halten.

Ein Grund für unsere Verlegung war offenbar die Absicht, durch die zeitweilige Entfernung unserer Gruppe aus Europa die Gefahr einer Indiskretion auf ein Minimum zu reduzieren.

[...]

Wir wurden etwa Anfang August in das Flugzeug des Chefs des Stabes von USFET, General Bedell Smith, verfrachtet. Dadurch war ein unauffälliger Transport möglich, denn dieses Flugzeug wurde sonst ausschließlich von dem General benutzt.

[...]

Nach 36stündigem Flug landeten wir in Washington, wo wir von einem Captain Kohler in Empfang genommen wurden, der zunächst unsere Betreuung zu übernehmen hatte. Zu unserer Enttäuschung verabschiedete sich Hallstedt auf dem Flugplatz von uns und wünschte uns alles Gute.

[...]

Der Wagen hielt an einem Punkt, der nach meiner Berechnung etwa 20 km südlich von Washington liegen mußte. Ich tippte auf die Gegend von Alexandria, was sich später auch als ungefähr richtig herausstellte. Wir befanden uns in einem aus Geheimhaltungsgründen namenlosen Vernehmungslager, das von den amerikanischen Soldaten nach seiner Post Office Box Nummer 1142 benannt wurde.

Seite 143:

Erikson holte uns jeden Morgen zur Arbeit ab, die wir außerhalb des Unterbringungsgebäudes in einem Bürohaus durchführten und bei der wir uns täglich sahen. Unsere Tätigkeit bestand in Gesprächen mit Fachreferenten des G-2-Dienstes des War Department, in der Beantwortung mündlich und schriftlich gestellter Fragen über die Streitkräfte der Sowjetunion sowie in der Erarbeitung von Studien auf Grund uns überlassenen Materials. In dieser Zeit hatte ich auch die bisher nicht eingeweihten Mitarbeiter über meine Absichten und Pläne unterrichtet.

Seite 144 bis 147:

Wir wurden mehrfach von Referenten aus dem Kriegsministerium besucht, die sich einen Überblick über unsere Auffassungen, unsere Leistungsfähigkeit usw. verschaffen wollten. Leiter einer Arbeitsgruppe war Oberst Lovell, der leider im Korea-Krieg gefallen ist; er war vor dem Kriege Militär-Attaché in Berlin gewesen und erzählte wiederholt davon, wie anständig er bei Kriegsbeginn in der Internierung bis zur Abreise des diplomatischen Personals von der Wehrmacht behandelt worden wäre. Er versicherte, daß er sein Betreben darein setze, uns auch nicht einen Deut schlechter zu behandeln. Ich habe seinerzeit Lovell als einen aufrechten amerikanischen Soldaten, mit dem man über alle Dinge offen und freimütig sprechen konnte, sehr schätzen gelernt. Auch der Rußland-Referent war ein besonders tüchtiger Mann mit gutem Urteil über alle Ostfragen. Die Amerikaner litten daran, daß die Kenntnisse über den Osten, seine Mentalität, seine positiven und negativen Seiten, nicht in genügender Genauigkeit vorhanden waren. Wir bekamen im Laufe der Zeit immer mehr Material zur Auswertung. Das dabei Geleistete hat sehr erheblich dazu beigetragen, die Amerikaner zu einem positiven Urteil über unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten zu bestimmen.

Wenn die Sprache auf meine Vorschläge kam, so war noch um die Jahreswende 1945/46 die Reaktion ausweichend, da man offensichtlich zu diesem Zeitpunkt noch die damit verbundenen politischen Risiken scheute. Uns wurde gesagt, man müsse abwarten, bis sich die öffentliche Meinung gegenüber Deutschland beruhigt und gegenüber den Russen abgekühlt habe. Die Öffentlichkeit müsse erst einmal die Sowjets und das sowjetische Problem so sehen, wie es in Wirklichkeit gesehen werden müßte, andernfalls würden in einem demokratisch geführten Staat wie den Vereinigten Staaten sowohl außenpolitische wie innenpolitische Schwierigkeiten eintreten.

Im Dezember 1945 traten die Amerikaner zunächst lediglich mit dem Angebot an mich heran, die Gegenspionage in kleinem Maßstab durch die Gruppe Baun freizugeben, falls ich einverstanden sei. Ich willigte ein, da die Möglichkeit gegeben war, die ersten Anfänge einer aktiven Arbeit einzuleiten.

Baun befand sich, wie erwähnt, in der Betreuung durch CIC (Counter Intelligence Corps), der Sicherheitsorganisation von G-2 USFET. Der CIC seinerseits wurde aus Geheimhaltungsgründen über die Gesamtplanung in Verknüpfung mit meiner Person nicht unterrichtet. So wurde ich selbst noch bis etwa 1949 vom CIC gesucht. Diese Geheimhaltung hatte zur Folge, daß Baun zunächst glaubte, daß der CIC ihm die erste Arbeit auf Grund seiner eigenen Vorschläge freigegeben habe.

Der Umschwung in der politischen öffentlichen Meinung kam plötzlich, als im Februar 1946 sowjetische Truppen den nördlichen Teil des Iran besetzten. Mir wurde dieses für uns überraschende Umschlagen damit erklärt: "The American doesn’t like to be taken as a sucker" – dies soll heißen, daß der Amerikaner nicht liebt, "nicht für voll" genommen zu werden. Die Besetzung Nord-Irans stellte nach Ansicht der öffentlichen Meinung der USA eine ausgesprochene, durch nichts begründete Unrechtshandlung dar und führte nahezu schlagartig zu der Erkenntnis, daß sich die Sowjetunion nicht – wie man geglaubt hatte – von einem kommunistischen zu einem friedliebenden nationalen Staat mit etwas anderen Formen als denen der westlichen Demokratien entwickle. Man glaubte nun wieder, mit dem früheren expansiven Sowjetrußland rechnen zu müssen. Der öffentliche Stimmungsumschwung führte zwar nicht zu einer sofortigen Entscheidung, aber immerhin doch dazu, daß nun in etwas detaillierterer und gründlicherer Form als bisher mit uns zusammengearbeitet wurde. Auch in Europa, wo Wessel zurückgeblieben war, ergaben sich, wie bereits erwähnt, gewisse weitere Ansatzpunkte für eine spätere Aufnahme der Arbeit.

[...]

Alles in allem war dieser mehrmonatige Aufenthalt besonders dazu geeignet, nicht nur von der fachlichen, sondern auch von der menschlichen Seite her die gemeinsame spätere Arbeit vorzubereiten und auch das beiderseitige Vertrauen zu gewinnen, das für diese diffizile und diskrete Tätigkeit notwendig ist.

Allmählich näherte sich die Stunde der Rückkehr. Nach Verabschiedung von den amerikanischen Herren, mit denen wir Kontakt gehabt hatten, traten wir am 1.7.1946 die Rückfahrt auf einem Liberty-Schiff an, einem Truppentransporter, mit dem wir in einer Woche Le Havre erreichten.

[...]

Nach der Ausschiffung in Le Havre wurden wir in einem Truppentransportflugzeug nach Frankfurt gebracht und von dort mit zwei Wagen nach Oberursel gefahren, wo drei Häuser für die Arbeitsgruppe bereitstanden. Diese drei Häuser wurden in der nächsten Zeit vorübergehend unsere erste Arbeitsstätte, zugleich aber auch unsere Wohnung. In einem vierten Haus, dem sogenannten "Bluehouse", war der amerikanische Verbindungsstab, bestehend aus dem Captain Erikson und einem neu hinzugetretenen Oberst D., gesondert untergebracht. Auch Captain Hallstedt, der zu seiner Stabsarbeit bei USFET zurückgekehrt war, sahen wir in den nächsten Tagen wieder.

Als erstes wurden die Formalitäten zur Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft durchgeführt, so daß wir nunmehr frei und lediglich durch unsere Arbeit gebunden waren. Die ersten Tage galten Besprechungen mit den beiden amerikanischen Offizieren, Oberst D. und Captain Erikson, über die Frage, wie unsere Arbeit zu organisieren sei und wie die amerikanischen und deutschen Wünsche am besten auf einen Nenner gebracht werden konnten.

Seite 148 bis 150:

An einem der ersten Tage nach unserer Ankunft besuchte mich General Sibert, der G-2 von USFET, um die Arbeitsmodalitäten endgültig zu klären. Wir unterhielten uns lange über die Arbeitskonzeption, sowohl von deutscher wie von amerikanischer Seite, und die damit verbundenen Probleme. Ich fand bei diesem klugen General volles Verständnis für die Voraussetzungen, von denen nach meiner Ansicht die Arbeit bei voller Berücksichtigung der Interessen unserer neuen, wenn auch nicht offiziellen Bundesgenossen und Partner abhing. Wir waren uns darüber klar, daß gegenüber den politischen Zielen des Ostblocks Amerikaner und Deutsche, aber auch die anderen europäischen Staaten in einem Boot säßen und an eine gemeinsame Verteidigung denken müßten. Allein diese Tatsache rechtfertige unsere Zusammenarbeit. Das weitere mußten wir der großen Politik überlassen. Die Entwicklung wurde von uns als eine zwangsläufige angesehen. Die Erfahrung der letzten 25 Jahre hat unsere damalige Einschätzung bestätigt. Im übrigen waren alle diese Gedanken schon während unseres ersten Aufenthaltes in Wiesbaden mit Captain Hallstedt besprochen worden; sie waren öfter Gegenstand der Besprechungen in Washington gewesen und wurden mit den amerikanischen Verbindungsoffizieren, die gleichzeitig unsere Betreuung durchführten, in vielen Diskussionen immer erneut erörtert. Der Inhalt dieses Gespräches war also nichts Neues für meinen Gesprächspartner, den General Sibert, sondern die Zusammenfassung einer langen vorhergegangenen Diskussion. Wir wiederholten lediglich noch einmal alle Gedankengänge, um endgültig zu einer klaren Grundlage zu kommen. Das Gespräch endete mit einem "Gentlemen’s Agreement" zwischen General Sibert und mir über unsere Arbeit, das aus vielerlei Gründen nicht schriftlich niedergelegt wurde. Immerhin hatte sich durch die intensive persönliche Berührung mit dem Kreis des G-2 von USFET und des G-2 des War Departments das Vertrauen zwischen beiden zukünftigen Partnern, insbesondere zwischen General Sibert und mir, so positiv entwickelt, daß beide Seiten nicht zögerten, die Arbeit auf einem mündlichen "Gentlemen’s Agreement" aufzubauen, das im übrigen in den späteren Jahren einen schriftlichen Niederschlag fand. Dieses unbedingte Vertrauen war entscheidend.

Das zwischen General Sibert und mir abgeschlossene "Gentlemen’s Agreement" legte fest:

1.) Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potentials geschaffen, die nach Osten aufklärt, bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinne fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.

2.) Diese deutsche Organisation arbeitet nicht "für" oder "unter" den Amerikanern, sondern "mit den Amerikanern zusammen".

3.) Die Organisation arbeitet unter ausschließlich deutscher Führung, die ihre Aufgaben von amerikanischer Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine neue deutsche Regierung besteht.

4.) Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert, wobei vereinbart wird, daß die Mittel dafür nicht aus den Besatzungskosten genommen werden. Dafür liefert die Organisation alle Aufklärungsergebnisse an die Amerikaner.

5.) Sobald wieder eine souveräne deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidung darüber, ob die Arbeit fortgesetzt wird oder nicht. Bis dahin liegt die Betreuung dieser Organisation (später "trusteeship" genannt) bei den Amerikanern.

6.) Sollte die Organisation einmal vor einer Lage stehen, in der das amerikanische und das deutsche Interesse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen.

Besonders der letzte Punkt mag verwundern, da hier doch zur Diskussion stehen könnte, ob der Vertreter der Amerikaner dem Deutschen nicht zuviel zugestanden habe. Gerade dieser Punkt zeugt jedoch von der Weitsichtigkeit des Generals Sibert. Er übersah klar, daß die Interessen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik auf lange Zeit identisch sein würden. Ich, glaube, es war sehr wichtig, daß gleich von Anfang an eine Übereinkunft getroffen wurde, die tragfähig genug war, auch Schwierigkeiten und Probleme, die sich in der Zukunft in umfangreichster Form einstellen konnten und auch eingestellt haben, überwinden zu können. Ich habe heute noch die allerhöchste Hochachtung vor diesem General, der das Wagnis auf sich genommen hat, die nachrichtendienstlichen Kräfte des ehemaligen Gegners für das eigene Land in einer Lage mit auszunutzen, die politisch voller vieler schwieriger Probleme war. Auch der Mitwirkung der anderen amerikanischen Offiziere, die mit unserer Betreuung befaßt waren, ist es zweifellos zu danken, daß die psychologischen und vertrauensmäßigen Voraussetzungen von amerikanischer Seite gegeben waren, ein solches Unternehmen zu beginnen.

 

4. Kapitel: Die "Organisation Gehlen"

Seite 151 und 152:

In der Zeit vor meiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten waren die Zurückgebliebenen nicht müßig geblieben. Wessel hatte kurz nach meiner Abreise zunächst einmal die Verbindung mit Baun hergestellt, der ähnliches wie wir erlebt hatte. Er hatte sich, wie verabredet, freiwillig den Amerikanern gestellt, war ebenfalls hin- und herverlegt worden und schließlich nicht allzuweit von Wiesbaden in dem Vernehmungslager bei Oberursel in der Obhut des CIC angelangt und dort geblieben. Hier herrschten strenge Bräuche, da das Lager zum Teil auch Gefangene fragwürdiger Art zu Vernehmungszwecken beherbergte. Es unterstand dem G-2 USFET (Unitet States Forces European Theater). Baun ertrug diese Lage, ebenso wie einige seiner Mitarbeiter, mit dem notwendigen Schuß Galgenhumor und erklärte sich bereit, entsprechend unseren Abreden in Bad Elster, mit dem CIC zusammenzuarbeiten. Ich selbst hatte bereits im Laufe meiner Washingtoner Gespräche, wie schon erwähnt, Ende des Jahres 1945 mein grundsätzliches Einverständnis erklärt, daß Baun und die in Deutschland zurückgebliebenen Mitarbeiter sozusagen probeweise aktiv werden sollten. Bei dieser Entscheidung leiteten mich zwei sich berührende und ergänzende Überlegungen. Einmal kam es darauf an, die von ihrem Standpunkt aus berechtigterweise skeptischen Amerikaner möglichst bald davon zu überzeugen, daß wir außer unseren Unterlagen, die auf längere Sicht dem unausweichlichen Prozeß der Veraltung unterworfen sein würden, noch andere, nämlich aktuelle und wertvolle Erkenntnisse bieten konnten. Solche Ergebnisse mußten um so eindrucksvoller sein, als in Deutschland noch immer das Chaos herrschte, die Verbindungen durch die Zonengrenzen erschwert waren und sich Millionen von Deutschen noch immer ohne festes Ziel auf einer erzwungenen Wanderschaft befanden. Zum anderen mußte es immer schwieriger werden, den Stamm von Mitarbeitern, den wir benötigten, heranzuziehen und zur Mitarbeit einzusetzen. Wenn sie erst einmal aus der Gefangenschaft entlassen und im Erwerbsleben verschwunden waren, konnte es bei den herrschenden katastrophalen Zuständen kaum gelingen, viele der dringend benötigten Fachkräfte wieder ausfindig zu machen.

Seite 156:

Ab 1.4.1946 liefen die ersten Probeeinsätze der Beschaffung an. Die Ergebnisse fanden eine zustimmende Reaktion. Nach der Besprechung mit General Sibert im Juli 1946, die zu dem erwähnten "Gentlemen’s Agreement" geführt hatte, wurde dann das Signal zur vollen Aufnahme der Arbeit gegeben. Dazu war zunächst der Aufbau einer kleinen, aber leistungsfähigen Führungsspitze für die Gesamtorganisation nötig, ferner mußte ein gut arbeitender Führungsstab für die nachrichtendienstlichen Operationen aufgestellt und eine zuverlässige Auswertung gebildet werden. Diese wichtigen Vorarbeiten erforderten bei aller Einsatzfreude sämtlicher Beteiligten ihre Zeit, zumal zunächst sämtliche Voraussetzungen fehlten, sowohl technischer, räumlicher, organisatorischer und in gewissem Umfange auch personeller Art. Die weitere Ergänzung des Personals war zunächst das vordringlichste Problem. Die vorhandenen Kräfte reichten nicht aus; zu vielen, früher auf den verschiedenen Fachgebieten tätigen Persönlichkeiten war die Verbindung verlorengegangen. Außerdem mußten natürlich auch Hilfskräfte für die Bearbeiter in ausreichendem Maße eingestellt werden. Der Wiederanfang am Punkt "Null" hatte allerdings auch seine Vorteile. Denn es ist sehr viel schwieriger, eine bestehende und arbeitende große nachrichtendienstliche Organisation umzubauen und sie zu modernisieren, als eine Organisation unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse nach neuen Gesichtspunkten wieder aufzubauen. Das Ziel war mir und Wessel klar: Den Kern eines künftigen deutschen Nachrichtendienstes zu schaffen, wobei die bei anderen Diensten wie auch bei uns vorliegenden Erfahrungen sowohl aus dem Kriege wie aus der Vergangenheit verwertet werden sollten.

Seite 161:

Unsere Aufklärungstätigkeit beschränkte sich zuerst auf militärische Fragen. Dies war natürlich, da wir auf den Resten der Frontaufklärungseinheiten aufgebaut hatten. Sehr bald zeigte sich jedoch, daß parallel mit der wachsenden Entfremdung unter den Alliierten das Interesse an politischen Problemen wuchs. So begannen wir bereits ab Ende 1946, auch Vorgänge auf politischem Gebiet zu beobachten. Und schließlich ergab sich eigentlich von selbst, daß wir das Gebiet der Wehrwirtschaft und Rüstungstechnik in unsere Arbeit einbezogen. Gerade auf diesem Gebiet, dessen Aufklärung die Dienste der USA erst verhältnismäßig spät in ihre planmäßige Arbeit einbezogen, konnten wir unseren Freunden immer wieder Ergebnisse vermitteln, die von ihnen hoch bewertet wurden.

Seite 162:

Trotz aller Reibungen gebührt Oberst L. jedoch ein entscheidendes Verdienst: Als wir in unseren bisherigen Unterkünften buchstäblich bereits aus allen Nähten platzten, gelang es ihm, die heute noch als Zentrale des Bundesnachrichtendienstes benutzte Siedlung in Pullach, in der zu diesem Zeitpunkt die amerikanisch-englische Civil Censorship Division untergebracht war, für uns freizumachen, so daß der Dienst im Dezember 1947 in dieses Lager einziehen konnte.

Seite 165:

Daß unsere Arbeit geschätzt wurde, bewiesen die sich rasch vermehrenden Aufträge. Ein ständiges Anwachsen der Mitarbeiterzahl war die zwangsläufige Folge.

Seite 168:

Die Währungsreform brachte auch für uns schwerwiegende Probleme. In der Reichsmarkzeit lag unserem Haushalt ein fester Dollarbetrag und die Zuteilung von Sachwerten zugrunde, mit denen wir fest rechnen konnten.

Der volkswirtschaftlich so günstige Wegfall der Dollar-, Zigaretten- usw. Währungen als eine Folge der Währungsreform mußte uns deshalb empfindlich treffen. Wir erhielten ab sofort unseren Geldbedarf in DM ausgezahlt, und zwar zu einem Zwangskurs von 1 US Dollar = 3 DM. Das bedeutete gegenüber dem amtlich festgesetzten Kurs von 1 Dollar = 4,20 DM eine Einnahmeminderung von nahezu 30 %, gegenüber den Beträgen, die wir vor der Währungsreform erhielten, jedoch eine Einnahmeminderung von nahezu 70 %. Dazu kam, daß die DM, die zunächst noch kein allgemein gültiges Vertrauen fand, in ihrem Werte schwankte. Die Folge war, daß die Organisation längere Zeit nicht mehr liquid genug war, um ihren Verpflichtungen sofort nachzukommen.

Seite 169:

Auf der anderen Seite war 1948 in der deutschen Bevölkerung die Hilfsbereitschaft groß; von finanzkräftigen Kreisen erhielten wir viele Hilfe, die zum Teil in Form von Darlehen, zum Teil in Form von Sachwerten erfolgte, aber vor allem unterstützten uns Menschen, die im Grunde selbst wenig hatten, was sich in ideeller Hilfestellung auswirkte.

[...]

Aus dieser Krise konnte uns auf die Dauer nur eine Herauslösung aus dem militärischen Bereich der Amerikaner und die Übernahme des Dienstes durch die amerikanische Koordinierungs- und Fachstelle, die 1947 errichtete Central Intelligence Agency, heraushelfen. Diese Stelle, die auf Grund ihrer weltweiten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aufgaben nach unserer Ansicht auch einen weiten Horizont haben mußte, würde alle Möglichkeiten, die in einer nachrichtendienstlichen deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit steckten, besser verstehen und auch die Einschätzung der benötigten Mittel mit einem richtigen Maßstab vornehmen können. Bereits seit November 1948 liefen daher Verhandlungen mit einem Beauftragten der CIA, die sich natürlich zuerst einen Überblick und umfassende Kenntnisse über die von meinem Dienst geleistete Arbeit verschaffen wollte.

Seiten 176 und 177:

Am 14. 4. 1949 hatten die drei westlichen Militärgouverneure den sogenannten "Polizeibrief" an den Parlamentarischen Rat erlassen. Er genehmigte eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die (zukünftige) Bundesrepublik gerichtete Tätigkeiten. Diese Stelle durfte keine polizeilichen Befugnisse haben. Der Erlaß genehmigte also den Aufbau der späteren Verfassungsschutzbehörden. Am 12. 9. 1949 bildete Bundeskanzler Dr. Adenauer die erste deutsche Nachkriegsregierung. Deutschland begann, als Staat wieder aus eigenem Vermögen heraus handlungsfähig zu werden. Dies war für mich, entsprechend den Abmachungen, die wir 1946 mit unseren amerikanischen Freunden getroffen hatten, die Veranlassung, erste Erwägungen über eine Kontaktaufnahme mit der deutschen Regierung anzustellen. Wenn sie auch noch nicht die volle Souveränität zuerkannt erhalten hatte, so war es für uns doch eine Verpflichtung, diese deutsche Regierung zumindest über unsere Tätigkeit zu informieren. Dies galt umso mehr, als in unserem "Gentlemen’s Agreement" festgelegt war, daß eine wiedergebildete deutsche Regierung über das weitere Schicksal der Organisation entscheiden solle. Ich hatte bereits am 14. 8. 1949, nach den Wahlen zum Bundestag, einen bayerischen Minister, von dem ich annahm, daß er gute Verbindungen zur kommenden deutschen Bundesregierung hatte, über unsere Tätigkeit orientiert. Hierdurch ergab sich zusätzlich die Möglichkeit, mit der bayerischen Regierung, vor allem mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und dem bayerischen Minister des Innern, die schon bestehenden Verbindungen zu intensivieren. Am 12. Oktober 1949 besuchte ich Ritter von Lex, damals Ministerialdirektor, später Staatssekretär im Bundesinnenministerium, und erhielt über ihn die Verbindung zum damaligen Bundesinnenminister Dr. Heinemann, den jetzigen Bundespräsidenten. Über Lex und Globke ging am 17. 10. 1949 eine Vortragsnotiz mit Vorschlägen für einen künftigen deutschen Auslandsnachrichtendienst an Bundeskanzler Dr. Adenauer. Am 14. 11. 1949 trug ich dem Vizekanzler Blücher, dem Bundesminister des Innern und dem damaligen Ministerialrat Blankenhorn vom Bundeskanzleramt über die "Organisation Gehlen" vor. In dem etwa eine Stunde dauernden Gedankenaustausch wurden die Geschichte der Organisation, ihre bisherigen Erfolge sowie schließlich meine Überlegungen, die mich seit Kriegsende bewegten und die sich nun zu ersten grundsätzlichen Vorschlägen wandeln konnten, erörtert. Dieser ausführliche Gedankenaustausch verlief äußerst positiv; ich fuhr von dieser Unterredung zufrieden zurück nach Pullach.

Seiten 178 und 179:

So kam im Frühjahr 1950 die erste offizielle Verbindung zu Dr. Globke dem späteren Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, zustande. Ich fand sofort einen guten Kontakt und gewann den Eindruck, daß er die Bedeutung meiner Organisation richtig einschätzte.

Globke wollte sich diese Verbindung persönlich vorbehalten, versprach jede mögliche technische Unterstützung und bat mich, den Verfassungsschutz während der Aufbauzeit zu unterstützen. Diese Hilfeleistungen wurden mit dem Bundesministerium des Innern und dessen Staatssekretär Ritter von Lex im einzelnen abgesprochen.

Am 20. September 1950 fand ich Gelegenheit, Konrad Adenauer das erste Mal zu begegnen. Es ist verständlich, daß ich mich auf diesen Besuch, von dem für meine Organisation nun alles abhing, eingehend vorbereitet hatte. Ich fragte mich, ob er wirklich der Fuchs und schreckliche Vereinfacher sei, wie er so oft betitelt wurde, und ob der ihm von seinen Bewunderern zuweilen nachgesagte autoritäre Patriarchalismus ein echtes Gespräch ermöglichen würde. Andererseits kam ich nicht mit leeren Händen – waren wir doch die erste deutsche Nachkriegsorganisation, deren Anfänge noch vor die Errichtung der englisch-amerikanischen Bizone zurückreichten. Mein Ruf als sogenannte "legendäre Persönlichkeit", als die ich mich freilich nicht fühlte, mochte vielleicht sein Interesse wecken.

Der Bundeskanzler empfing mich mit einer Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit, die sofort alle Bedenken zerstreute. Ihm, der sich in fortgeschrittenem Alter zur Übernahme der höchsten Verantwortung in unserem Lande bereiterklärt hatte, brauchte ich die Notwendigkeit eines Auslandsnachrichtendienstes nicht besonders zu erklären. Er zeigte ebenso wie Globke ein ungewöhnliches Einfühlungsvermögen in den schwierigen Aufgabenbereich meiner Organisation und bewies für unsere Probleme besonderes Verständnis. Adenauer begriff sofort, welchen außerordentlichen Wert dieses Instrument, das ihm angeboten wurde, für jede Regierung bedeutete, wenn man es richtig zu nutzen verstand.

Ich informierte Dr. Adenauer darüber, daß ich auch den Vorsitzenden der Oppositionspartei, Herrn Dr. Schumacher, unterrichten und um seine Unterstützung bitten werde. Die schwierige Aufgabe eines Auslandsnachrichtendienstes könne nur gelöst werden, wenn sie als eine überparteiliche Aufgabe empfunden werde und infolgedessen auch von der jeweiligen Opposition mitgetragen werde. Der Bundeskanzler stimmte sofort nachdrücklich zu.

Ich verließ Konrad Adenauer nach diesem ersten Vortrag in der Überzeugung, daß wir von ihm die entscheidende Unterstützung erhalten würden.

Seiten 180 und 181:

Dr. Kurt Schumacher besuchte ich wenig später am 21. September 1950 in Gegenwart von Herrn Ollenhauer, Frau Renger, Professor Carlo Schmidt und Herrn Erler. Er bejahte wie Adenauer das Prinzip der Überparteilichkeit, d. h. einer sich auf alle Parteien – außer den Kommunisten – abstützenden Arbeit des Auslandsnachrichtendienstes. Man könne und dürfe ein solch empfindliches Instrument nicht bei jedem Regierungswechsel neu besetzen. Dies würde eine unerträgliche Unruhe und Unsicherheit in die Mitarbeiterschaft hereintragen, die dieses Instrument lähmen und letztlich nur die Opportunisten nach oben spülen würde. Ich hatte das gute Gefühl, daß ich in allen wesentlichen Punkten eine Übereinstimmung mit Kurt Schumacher erzielen konnte. Zuletzt sicherte er mir zu, daß die SPD die Arbeit der Organisation unterstützen und daß sie eine spätere Überführung in die Dienste einer souveränen deutschen Bundesregierung befürworten werde.

Dr. Schumachers überzeugende, klare Intelligenz eilte den vorgetragenen Gedanken oft voraus, so daß er mit erstaunlicher Sicherheit auch schwer verständliche nachrichtendienstliche Zusammenhänge sofort in der richtigen Weise einordnen konnte.

[...]

Am 12. 12. 1950 teilte mir Staatssekretär Dr. Globke mit, daß die Bundesregierung die Absicht habe, die Organisation in den Bundesdienst zu übernehmen, sobald der politische Zeitpunkt (Souveränität) und der verwaltungsmäßig mögliche Zeitpunkt (Finanzierung) herangekommen seien. Die Finanzierung war damals die Hauptschwierigkeit.

Seiten 182 und 183:

Nach der ersten Unterredung mit Dr. Adenauer teilte ich dem amerikanischen Verbindungskommando mit, daß ich künftig durch regelmäßige mündliche Vorträge den Bundeskanzler, ebenso wie die Oppositionsführung, über den Dienst und seine Arbeitsergebnisse unterrichten würde. Ferner wurde der amerikanische Stab darüber orientiert, daß alles Material, das über die Sicherheit der Bundesrepublik anfiel, an den neu gebildeten künftigen Verfassungsschutz abgegeben würde. Diese Absicht wurde auch in einer Unterredung mit Dr. Otto John, die am 13. 12. 1950 durch Vermittlung des Staatssekretärs Ritter von Lex zustande kam, durchgesprochen.

Zur Weitergabe und Beurteilung aller Meldungen, die für die deutsche Regierung wichtig waren und sie besonders interessieren mußten, wurde Ende 1950 in der Zentrale eine besondere Stelle gebildet. Ferner wurde am 6. 2. 1951 in Oberpleis bei Bonn eine Verbindungsstelle eingerichtet, welche die Kontakte zu denjenigen Stellen der Bundesregierung, die mit dem Dienst zu arbeiten hatten, pflegen und wahrnehmen sollte.

 

5. KAPITEL: Rückschläge und Erfolge

Seite 185:

Wie kaum ein anderer Zeitraum nach 1945 bot die sich ständig zuspitzende nachrichtendienstliche Auseinandersetzung auf deutschem Boden mit und um den zentralen Punkt Berlin am Anfang der 50er Jahre der Presse Möglichkeiten zu spannenden, ja sensationellen Darstellungen. In der Tat ballte sich hier in einem kurzen Zeitabschnitt so viel an nachrichtendienstlicher Aktion auf beiden Seiten, an Angriffen und Gegenzügen zusammen, daß auch ein nur vordergründig informierter Autor diesem Geschehen mehr als genug an Farbe und Dramatik abzugewinnen vermochte.

Seiten 186 und 187:

Am 17. März 1952 veröffentlichte der bekannte Publizist Sefton Delmer im "Daily Express" unter der Überschrift "Hitlers General spioniert jetzt für Dollars" einen Artikel, der eine Flut von weiteren Veröffentlichungen auslösen sollte. Sefton Delmer war mit den deutschen Verhältnissen gut vertraut, da sein Vater, Professor Hobart Delmer, als Lektor für Englisch an der Berliner Universität gewirkt und er selbst als Korrespondent des "Daily Express" von 1928 bis 1933 in Berlin gearbeitet hatte. Als Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg, in Polen und Frankreich, sowie gegen Kriegsende beim "Soldatensender Calais" hatte Sefton Delmer scharfzüngige Propaganda gegen das Deutschland Hitlers betrieben. Nun ließ ihn seine damals noch deutschfeindliche Einstellung vergessen, daß unser Land sich nach dem Kriege erfolgreich bemüht hatte, von den ehemaligen Kriegsgegnern, den drei Westmächten, als Partner und Bundesgenosse gegen die zerstörerischen Kräfte des Kommunismus anerkannt zu werden. Mit dem Dienst, das mußte Sefton Delmer eigentlich wissen, traf er eine der wenigen Institutionen, die schon vor den Vertragsabschlüssen im gleichen Jahre 1952 im Gesamtinteresse des Westens und der freien Welt tätig waren.

Sefton Delmer stellte den Dienst als eine Gefahr für die Zukunft Europas dar und gab damit unbewußt das Stichwort für die östliche und westliche Presse. Er untermauerte dies mit der Behauptung, der Dienst habe unter meiner Anleitung bereits zu diesem Zeitpunkt (1952) alle Regierungsstellen der Bundesrepublik penetriert; er habe ferner versucht, seine Position ständig auszubauen und Einfluß auf die Politik zu gewinnen. Der Führung des Dienstes wurde von Sefton Delmer außerdem unterstellt, sie entziehe ehemalige Nazis und SS-Leute bewußt und planmäßig der Strafverfolgung.

[...]

Die gedanken- und kritiklose Übernahme der diffamierenden Behauptungen Sefton Delmers durch einen Teil der Presse veranlaßten mich, erste Kontakte zu einzelnen führenden Journalisten aller Parteirichtungen aufzunehmen. Diese anfänglichen Gespräche dienten vorerst nur der Richtigstellung, bildeten aber den Auftakt vielseitiger Bemühungen der Organisation und später des Dienstes, mit Vertretern der Presse und der anderen Massenmedien eine geeignete und für beide Seiten vertretbare Form des Zusammenwirkens zu finden.

Seiten 203 und 204:

Verhaftungsaktion in Rostock-Warnemünde

Eine schlimme "Panne" erlebte Wollweber Mitte November 1953, als es ihm darum ging, die Diffamierungskampagne gegen den Dienst mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten und zugleich die an sich schon gespannte Atmosphäre vor der Berliner Konferenz noch mehr zu vergiften. Hierzu benötigte Wollweber fortlaufend Material für neue Veröffentlichungen. Mit der breit ausgewalzten Darstellung einer eineinhalb Jahre zurückliegenden Verhaftungsaktion in Rostock-Warnemünde wurde dem Dienst erneut ein Vorgang angelastet, der ihn überhaupt nicht betraf. Den sensationell aufgemachten Berichten war zu entnehmen, daß drei angebliche "Gehlen-Agenten" beim Einbau von Sprengkörpern auf frischer Tat ertappt worden seien. Damit sei die verbrecherische Tätigkeit des Dienstes nun auch bei Sabotage- und Sprengstoffanschlägen festgestellt worden. Es fiel uns nicht schwer, diese von Wollweber über Presse und Rundfunk verbreiteten "neuen" Verhaftungen als identisch mit Zugriffen nachzuweisen, die bereits im Mai 1952 erfolgt, seinerzeit allerdings der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", von deren Methoden sich der Dienst stets distanziert hatte, zugeschrieben worden waren.

 

6. KAPITEL: Die Übernahme in den Bundesdienst

Seiten 214 und 215:

Inzwischen war in der Bundesrepublik die Frage eines militärischen Wiederaufbaues akut geworden. Im Rahmen der Vorbereitungen wurde zunächst der General Graf Schwerin als Militärberater des Bundeskanzlers eingesetzt, als zweiter Schritt wurde das Amt Blank unter dem späteren Verteidigungsminister Blank zur Vorbereitung der Aufstellung einer Bundeswehr geschaffen. Da der Bundesnachrichtendienst noch keine offizielle Bundeseinrichtung war, ergab sich die Notwendigkeit, im Rahmen der Bundeswehr vorerst eine kleine Dienststelle für die Wahrnehmung der Aufgaben eines militärischen Nachrichtendienstes und einer begrenzten militärischen Auswertung einzurichten, die ebenfalls von den Amerikanern betreut wurde. Das Bundeskanzleramt ordnete im Einverständnis mit Minister Blank eine enge Zusammenarbeit an, bis der neu aufzustellende Bundesnachrichtendienst diese Aufgabe übernehmen könnte. Minister Blank hatte sich auf Grund eines eingehenden Gedankenaustausches mit dem Bundeskanzleramt und mehrerer Vorträge von mir die Konzeption eines einheitlichen Auslandsnachrichtendienstes zu eigen gemacht und unterstützte in der Folgezeit unsere Bemühungen, zu einer engen und reibungslosen Zusammenarbeit zwischen dem Amt Blank und dem Dienst zu kommen. Mein zweimaliger Nachfolger Wessel stellte hierbei das Bindeglied dar; er übernahm die Aufgabe des G-2 der Bundeswehr.

Seite 218:

In der Einstellung unserer amerikanischen Freunde zum weiteren Schicksal der "Organisation Gehlen" hatte sich ab Ende 1950 ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Sie hatten – vor allem Mr. M., aber auch die beiden Chefs der CIA, zuerst General Walter Bedell Smith, dann Allan Dulles (ab Januar 1953) – erkannt, daß sich meine Konzeption von 1945 realisieren würde, zu der sich als erster General Sibert im "Gentlemen’s Agreement" bekannt hatte. Sie zogen daraus den Schluß, die Überführung der Organisation in die Hände der Bundesregierung mit allen Kräften zu unterstützen. Amerikanische Beauftragte führten deshalb im Laufe der Jahre mehrere Gespräche mit dem Bundeskanzleramt über technische Fragen der Überführung und bewogen auf den verschiedensten Wegen auch die anderen Alliierten dazu, die gleiche zustimmende Haltung einzunehmen. Sie taten dies in der selbstverständlichen Erwartung, daß die enge Zusammenarbeit des Dienstes mit ihnen und den anderen Alliierten auch in Zukunft bestehen bleiben würde.

Seite 219:

Die enge, auch durch die Überführungsmaßnahmen nicht beeinträchtigte Zusammenarbeit war für mich um so wichtiger, als die Bundesregierung, obwohl sie noch nicht als Dienstherr fungieren konnte, ab 1952 häufig Aufklärungswünsche anmeldete, die sich durchaus nicht nur auf den Osten beschränkten, sondern auch auf die übrige Welt bezogen. Ich habe dieses wachsende Interesse sicher mit Recht als Anerkennung der bisherigen Ergebnisse unserer Arbeit gewertet und, wenn irgend möglich, für eine rechtzeitige Beantwortung gesorgt. So ergab es sich von selbst, daß in immer stärkerem Maße Unterlagen für die außenpolitische Lagebeurteilung angefordert wurden, wenn die Bundesregierung vor irgendwelchen schwerwiegenden Überlegungen stand.Seite 221:

Am 5. Mai 1955 wurde die Bundesrepublik als gleichberechtigtes Mitglied in die NATO aufgenommen und erhielt am gleichen Tage ihre Souveränität zurück. Damit waren alle formalen Hemmnisse, die einer Überführung der Organisation als Bundesnachrichtendienst in die Kompetenz der Bundesregierung im Wege standen, beseitigt. Die schon weit vorangetriebenen Vorbereitungen konnten nunmehr beschleunigt und in den Hauptfragen abgeschlossen werden.

Seite 226:

Am 1. 4. 1956 erfolgte planmäßig die Überführung der "Organisation Gehlen" als Bundesnachrichtendienst in die Kompetenzen der Bundesregierung. Die Aufgabe, die ich mir und meinen Mitarbeitern mitten im Zusammenbruch von 1945 gestellt hatte, den Kern für einen deutschen Auslandsnachrichtendienst neu zu schaffen, war gelöst.

 

9. KAPITEL: Zwölf Jahre Bundesnachrichtendienst

1956 - 1968

Seiten 267 und 268:

In der Presse ist wiederholt behauptet worden, zuletzt in jüngster Zeit, daß wir eine umfangreiche innenpolitische Aufklärung betrieben hätten. Die legale Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes ist die Auslandsaufklärung. Man soll mich doch nicht für so töricht halten, daß ich durch eine innenpolitische Aufklärungsarbeit, welche Aufgabe der Verfassungsschutzämter ist, die Existenz des Dienstes aufs Spiel gesetzt hätte. Natürlich haben wir vor Neubildung einer deutschen Regierung und vor Aufbau des Verfassungsschutzes gegen die kommunistische Partei in der späteren Bundesrepublik aufgeklärt, diese Arbeit aber eingestellt, sobald die Verfassungsschutzämter arbeiteten.

Seite 285:

Zu den ungerechtfertigten Vorwürfen, die vorübergehend auch von Politikern gegen den BND erhoben wurden, gehört vor allem das angebliche Versagen bei der Errichtung der Berliner Mauer. Ich habe noch im Jahre 1961 eine ausführliche Dokumentation erstellen lassen, aus der zweifelsfrei hervorging, daß der Dienst sehr wohl seine Aufgabe zur rechtzeitigen Unterrichtung der damaligen Bundesregierung erfüllt hatte. In zahlreichen Einzelmeldungen vor dem 13. August war auf die außerordentliche Zuspitzung der Situation an den Übergängen in Berlin hingewiesen worden. Die Massenflucht, die zum Verlust vieler wertvoller Spezialisten geführt hatte, mußte demnach von Pankow unterbunden werden, sollte es nicht zu einer Katastrophe für das Ulbricht-Regime kommen. Viele Informationen zeigten in aller Deutlichkeit auf, daß der Zeitpunkt für rigorose Maßnahmen der Abschnürung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

Seite 296:

Es steht mir nicht zu, das geschichtliche Verdienst Konrad Adenauers aus meiner Sicht zu würdigen. Viele Berufenere haben dies längst getan. Was ich aber beurteilen und deshalb auch aussagen kann, ist dieses: Wohl selten wird der Leiter eines Nachrichtendienstes das Glück haben, unter einem Regierungschef zu arbeiten, der sich mit so großem Verständnis für die Verwendung nachrichtendienstlicher Ergebnisse und mit einem daraus resultierenden so sicheren Beurteilungsvermögen seines Nachrichtendienstes zu bedienen wußte wie Dr. Adenauer. Es beeinträchtigt diese Feststellung nicht, daß der frühere Bundeskanzler in Staatssekretär Dr. Globke über einen Gehilfen verfügte, der in seiner kongenialen Mittlerrolle unübertrefflich und unersetzlich war.

 

12. KAPITEL: 25 Jahre sowjetische Machtpolitik und ihre Folgen

Beobachtungen, Analysen und Prognosen

Seite 392:

Die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion ist selbstverständlich am ehesten in Europa, in Deutschland und hier besonders in Berlin gegeben.

Seite 422:

LEBENSDATEN

3. April 1902 geb. in Erfurt

1. April 1920 Abitur

20. April 1920 Diensteintritt in die vorläufige Reichswehr

1. Dez. 1923 Beförderung zum Leutnant

1. Februar 1928 Beförderung zum Oberleutnant

In dieser Zeit bis 1933 Frontdienst

im Artillerie-Regiment 3

1933 - 1935 Ausbildung auf der Kriegsakademie;

Qualifikation für den Generalstabsdienst (und

Verwendung im Generalstabsdienst)

1. Mai 1934 Beförderung zum Hauptmann

1935 – 1938 Verwendung im Generalstab des Heeres als Adjutant

des O Qu I (Vertreter des Generalstabschefs)

Tätigkeit als Adjutant O Qu I in der Operations-

abteilung und in der Abteilung Landesbefestigung

1938 – 1939 Batterie-Chef im Artillerie-Regiment 18

1. März 1939 Beförderung zum Major

26. August 1939 –

1. Oktober 1939 1. Generalstabsoffizier (I a) der 213. Infanterie-

Division

November 1939 –

Mai 1940 Leiter der Gruppe Landesbefestigung im OKH

Juni 1940 –

Oktober 1940 Adjutant des Chefs des Generalstabes

November 1940 –

März 1942 Leiter der Gruppe Ost in der Operationsabteilung

1. Juli 1941 Beförderung zum Oberstleutnant i. G.

1. April 1942 Beförderung zum Oberst i. G. und Ernennung

zum Chef der Abteilung "Fremde Heere Ost"

1. Dez. 1944 Beförderung zum Generalmajor

Juni 1945 –

Juli 1946 Amerikanische Kriegsgefangenschaft

Juli 1946 –

März 1956 Leiter der "Organisation Gehlen"

April 1956 –

April 1968 Präsident des Bundesnachrichtendienstes

Mai 1968 Versetzung in den Ruhestand

 

* * *

[farbliche Hervorhebungen nicht im Original]

Zitate aus:

Reinhard Gehlen: DER DIENST, Erinnerungen 1942 - 1971

v. Hase & Koehler Verlag Mainz - Wiesbaden

© Copyright 1971 by Reinhard Gehlen, Berg

ISBN 3-920324-01-3

 


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