Vorfälle an der Grenze - sachlich betrachtet

Von Regierungsrat Dr. Wiegmink, Köln

Der nachstehende Aufsatz enthält eine Antwort auf die in verschiedenen Tageszeitungen des Aachener Bezirks erschienenen sehr unsachlichen und zum Teil sogar äußerst gehässigen Berichte gegen die Zollbeamtenschaft, insbesondere gegen unsere Beamten an der Grenze. Der Aufsatz war als Entgegnung für die örtliche Tagespresse gedacht und dementsprechend mehreren Aachener Tageszeitungen als Erwiderung zur Verfügung gestellt worden, die sich jedoch außerstande erklärten, solche Ausführungen zu bringen, die sich gegen eine "gewisse Presse" richten.

Wir sehen uns deshalb veranlaßt, diesen Aufsatz in unserer Zeitschrift der Öffentlichkeit zur Kenntnis zur bringen.

Die Schriftleitung.

Seit mehreren Wochen steht der "Zoll" in Aachen wieder einmal im Vordergrund des öffentlichen Interesses. In einer gewissen Presse wird gegen die Zollbeamtenschaft und die Zollverwaltung in einer Weise zu Felde gezogen, die als beispiellos bezeichnet werden muß. Weder die Zollverwaltung noch die Beamtenschaft ist bisher in der Öffentlichkeit zu Worte gekommen. Es erscheint deshalb notwendig, die gegen den Zoll erhobenen Vorwürfe einmal einer unvoreingenommenen Prüfung zu unterziehen. Dabei sollen vor allem diejenigen Leser angesprochen werden, die sich trotz der ständigen massiven Angriffe auf die Zöllner und die Zollverwaltung ein ruhiges Urteil bewahrt haben und an einer sachlichen und objektiven Erörterung der Zollfragen interessiert sind. An die berufsmäßigen Gegner der Zollverwaltung wendet sich dieser Artikel nicht; denn sie kennen keine Objektivität, sie wollen keine objektive Betrachtung, sie kennen nur ihr Geschäft, dem der Zoll im Wege steht. Der Schuß eines Zollbeamten, der am 9. Juli d. Js. unglücklicherweise den Tod eines Menschen herbeigeführt hat, hat eine Welle von Pressekommentaren ausgelöst, die zum Teil einen unsachlichen, ja sogar gehässigen Charakter haben. Was ist an jenem Tage geschehen? Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen (Stand Ende Juli 1952) ist zweifelsfrei folgendes festgestellt worden:

Ein Zollgrenzbeamter bemerkt während seiner Postierung einen auf einem Nebenweg von der Grenze kommenden Schmuggler. Er ruft ihn zweimal mit den Worten "Halt, Grenzbeamter!" an und schießt danach, weil der Schmuggler weiterläuft, 4–5 Warnschüsse in die Luft. Als der Schmuggler auch daraufhin noch nicht stehenbleibt und zu entkommen versucht, gibt der Beamte einen auf die Beine des Schmugglers gezielten Schuß ab, der unglücklicherweise tödlich trifft.

Was ist aus diesem Tatbestand gemacht worden?

Der Beamte wurde in der Öffentlichkeit als Totschläger und Mörder bezeichnet und als "Genickschütze" und als "Heckenschütze" beschimpft. Eine Flut von unqualifizierbaren Anwürfen ergoß sich über den beteiligten Zollbeamten zu einem Zeitpunkt, in dem die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren. Das "Kreuzigt ihn!" wurde von einer gewissen Presse als eine Forderung der Öffentlichkeit publiziert, obwohl – das muß hier einmal klar herausgestellt werden – für den behaupteten Totschlag nicht der Schatten eines Beweises vorlag. Die Frage des Mißbrauchs der Pressefreiheit drängt sich hier unwillkürlich auf. Eine Presse, die sich anmaßt, in schwebende Ermittlungsverfahren einzugreifen, eine Presse, die sich nicht scheut, das noch gar nicht vorliegende Ergebnis dieser Ermittlungen vorweg zu nehmen und mit großer Lautstärke die Feststellung eines bestimmten Ermittlungsergebnisses zu fordern, gerät mit Recht in den Verdacht, daß sie die Ermittlungen in unzulässiger Weise zu beeinflussen versucht. Eine solche Presse handelt verantwortungslos und wird ihrer Verpflichtung zur objektiven und wahrheitsgemäßen Berichterstattung nicht gerecht.

Bei der Beurteilung des Vorfalls muß man zunächst davon ausgehen. daß der Beamte nach seiner Dienstvorschrift gehandelt hat. Er war im gegebenen Fall nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, um das Anhalten des fliehenden Schmugglers zu erzwingen. Hinter dem Beamten stehen das Waffengebrauchsgesetz und die Dienstanweisung für den Waffengebrauch der Angehörigen der Bundesfinanzbehörden. Man kann selbstverständlich darüber streiten, ob diese Bestimmungen gut und richtig oder verbesserungsbedürftig sind. Aber es ist im höchsten Grade unfair, einen Beamten, der diese Bestimmungen pflichtgemäß anwendet, in der Öffentlichkeit zu diffamieren. Höchst merkwürdig mutet es an, daß im Zusammenhang mit dem geschilderten Vorfall von der Presse nur die Frage nach der Schuld des Beamten aufgeworfen wird, während die Frage, wieweit hier ein Verschulden des Schmugglers vorliegt, überhaupt nicht erörtert wird. Es wird gerade so getan, als ob das gewerbsmäßige Schmuggeln eine ebenso ehrenhafte wie notwendige Berufsausübung darstelle, die vom Staat respektiert werden müsse.

Es wäre gewiß anständiger und vernünftiger von einem Publikationsorgan, wenn es der Bevölkerung sagen würde: "Geht nicht über die Grenze! Unterlaßt das Schmuggeln!" Aber es ist wohl gar zu schwierig, auf diesen naheliegenden Gedanken zu kommen. Man spekuliert vielmehr auf die mangelnde Urteilsfähigkeit vieler Leser und verbreitet ohne jede Hemmung die Lesart, der Zoll lasse für 6 Pfund Kaffee ein Menschenleben vernichten. Jeder Einsichtige kann sich selbst sagen, daß von der Waffe kein Gebrauch gemacht wird, etwa um in den Besitz von 6 Pfund Kaffee zu kommen. Es handelt sich auch nicht darum, den Schmuggler durch Waffengebrauch zu bestrafen, sondern es geht ausschließlich darum, ihn unter Anwendung des letzten Zwangsmittels anzuhalten und dem Gesetzesbefehl Gehorsam zu verschaffen. Auch der Polizeibeamte darf auf einen fliehenden Einbrecher schießen, wenn er sich seiner Festnahme durch die Flucht zu entziehen versucht.

Für den Schmuggel ist genau so wie für den Diebstahl als Strafe Gefängnis vorgesehen. Die weit verbreitete Einstellung, es handele sich beim Schmuggel nur um ein sogenanntes Kavaliersdelikt, ist falsch. Wer den ungeheuren Schaden kennt, den der Schmuggel durch Ausfall an öffentlichen Einnahmen und Schädigung der Volkswirtschaft verursacht, muß zugeben, daß dieser Art von Steuerhinterziehung mit allergrößter Energie entgegengetreten werden muß. Durch den Schmuggel werden dem legalen Außenhandel Devisen entzogen. Der legale Handel (z. B. der Kaffeehandel) und viele Gewerbezweige (z. B. das Tabakgewerbe) werden durch ihn empfindlich geschädigt. Wer da meint, daß man den Berufsschiebern und Schmugglern ihren Profit ruhig gönnen solle, der verkennt, daß die Allgemeinheit die Zeche bezahlen muß. Der ehrliche Steuerzahler ist letztlich der Leidtragende; er muß den durch den Schmuggel verursachten Steuerfehlbetrag in Gestalt anderer Steuern aufbringen.

In Anbetracht des gerade im Aachener Raum außergewöhnlich starken Schmuggels wird man feststellen müssen, daß ein Schußwaffengebrauch mit tödlichem Ausgang an der Grenze verhältnismäßig selten vorkommt. Die Zahl der Aufgriffe und die Zahl der Festnahmen gehen monatlich in die Tausende. Nur in einem kleinen Teil der Fälle wird überhaupt von der Waffe Gebrauch gemacht. Zu Verletzungen kam es hierbei äußerst selten, und Verletzungen mit tödlichem Ausgang waren erfreulicherweise – gemessen an der übergroßen Zahl der Schmuggelfälle – ganz vereinzelt. Hat doch die Zollverwaltung ausbildungsmäßig und durch ihre Anweisungen alles getan, um einen tödlichen Erfolg beim Schußwaffengebrauch nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist aber nicht in der Lage, das Risiko, dem sich der gestellte Schmuggler durch einen Fluchtversuch aussetzt, ganz zu beseitigen. Niemand ist gezwungen zu schmuggeln. Es ist ein rührseliges Märchen, wenn behauptet wird, daß die Not den Schmuggler treibe. Der Beweggrund für den Schmuggel ist in den allermeisten Fällen der hohe Profit. Jeder Einsichtige wird überdies zugeben müssen, daß der Staat auf den Waffengebrauch als letztes Mittel, die Staatsautorität gegenüber dem Rechtsbrecher durchzusetzen, nicht verzichten kann, wenn er nicht von vornherein vor dem organisierten Verbrechertum kapitulieren will.

Es ist nichts als eine böswillige Unterstellung, in diesem Zusammenhang von "schießlustigen" Zöllnern zu reden. Der Umstand, daß jeder Schußwaffengebrauch mit Verletzungsfolge eine eingehende polizeiliche Untersuchung mit allen ihren zahlreichen Unannehmlichkeiten nach sich zieht, veranlaßt die Beamten schon zu allergrößter Zurückhaltung; kein Zollbeamter wird deshalb leichtfertig von der Schußwaffe Gebrauch machen.

Ausdrücklich muß hervorgehoben werden, daß die Folgen der in einer gewissen Presse gegen die Zollbeamten gerichteten systematischen Kampagne schwerwiegend sind. Der organisierte Berufsschmuggel wird dadurch moralisch gestützt. Die Bevölkerung wird gegen die Zollbeamten, die nur ihre Pflicht tun, in unverantwortlicher Weise aufgehetzt. Man darf nicht die Augen davor verschließen, daß das organisierte Berufsschmugglertum eine ständige potentielle Gefahr für Leib und Leben der Grenzaufsichtsbeamten darstellt. Daß diese Gefährdung des Grenzaufsichtspersonals durch Presseveröffentlichungen, wie wir sie in den letzten Wochen erlebt haben, einen akuten Charakter annehmen muß, ist einleuchtend. Nur allzu leicht geraten die Fälle in Vergessenheit, in denen anständige und pflichtbewußte Zollbeamte ein Opfer ihres Berufs geworden sind. Es sei nur erinnert an den Fall des ZS Oskar Schäfer aus Aachen, der am 12. November 1948 im Dienst von Schmugglern erschossen wurde. Es sei weiter erinnert an den Fall des ZS Rasche, der am 24. Oktober 1951 von einem Dienstgang nicht zurückgekehrt und seitdem spurlos verschwunden ist; in diesem Falle bestehen dringende Verdachtsmomente dafür, daß der Beamte von Schmugglern erschlagen, sein Leichnam auf belgisches Gebiet geschleppt und dort im Walde verscharrt worden ist. Es würde zu weit führen, die zahlreichen Fälle anzuführen, in denen bis in die jüngste Zeit hinein Zollbeamte angepöbelt, beleidigt, überfallen, niedergeschlagen und schwer verletzt worden sind. Im Hinblick auf diese Vorfälle muß es besonders anerkannt werden, daß die Zollbeamten bei ihrer Dienstausübung ein hohes Maß von Zurückhaltung und Besonnenheit bewahrt haben.

Schließlich noch ein Wort zur Kaffeesteuer. Dem Scharfsinn der passionierten Gegner der Zollverwaltung ist es natürlich nicht entgangen, daß die "schlechte Zollmoral" wesentlich auf die Höhe der Kaffeesteuer zurückzuführen ist. Tatsache ist, daß die hohe Kaffeesteuer, die ein erhebliches Gefälle zwischen dem Kaffeepreis diesseits und jenseits der Grenze verursacht, einen starken Anreiz zum Schmuggeln bietet. Zahlreiche Zollbeamte haben sich aus dieser Erkenntnis heraus seit jeher für eine Senkung der Kaffeesteuer ausgesprochen und tun dies auch heute noch. Niemandem soll das Recht abgesprochen werden, die Höhe der Kaffeesteuer zu kritisieren. Leider richtet sich die Kritik aber zumeist an die falsche Adresse. Die Kritik wird dazu benutzt, um wieder einmal die Zollverwaltung zum Sündenbock zu stempeln. Dabei hat die Zollbehörde genau soviel Einfluß auf die Kaffeesteuer wie z. B. die Postverwaltung oder die Bundesbahn, d. h. sie hat keinen Einfluß. Auch der soviel gelästerte Bundesfinanzminister kann die Kaffeesteuer weder senken noch abschaffen. Die Kaffeesteuer beruht auf einem Gesetz. Die Verwaltung (Exekutive) muß das Gesetz durchführen, ohne Rücksicht darauf, ob es gut ist oder schlecht. Ändern kann das Gesetz nur der, der es erlassen hat, d. h. der Gesetzgeber. Gesetzgeber ist der aus den gewählten Vertretern des Deutschen Volkes bestehende Bundestag. An ihn oder seine Abgeordneten wende man sich, wenn man eine Änderung des Kaffeesteuergesetzes erstrebt. Aber man lasse in dieser Frage gefälligst die Zollverwaltung und die Zollbeamtenschaft aus dem Spiel!

 

[Hervorhebungen im Original]

Veröffentlicht in DER DEUTSCHE ZOLLBEAMTE, herausgegeben von dem BUND DER DEUTSCHEN ZOLLBEAMTEN E. V., Postversandort Hamburg, Augustheft 1952, Seiten 252 und 253

 


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