03.11.2003
Den rechten Rand bedient
Die Hohmann-Affäre entspringt der Tradition von CDU/CSU, rechtsaußen
im trüben zu fischen
Ulla Jelpke
Für den Deutschen Bundestag wird häufig die Metapher vom »Haifischbecken«
gebraucht. Daran mag etwas Wahres sein. Am Wochenende zeigte sich aber, daß
in der Politik auch die Spezies »Krokodil« weit verbreitet ist.
Jedenfalls weinten die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und zahlreiche andere
Mitglieder der Union öffentliche Krokodilstränen über den
CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann aus Fulda. Der Major der Reserve
und frühere Kriminaloberrat im Bundeskriminalamt hat mit einer Rede zum
3. Oktober 2003 allgemeine Empörung ausgelöst, in der er eine »jüdische
Mitwirkung« an den angeblichen Verbrechen der russischen
Oktoberrevolution behauptet und die Frage nach den Juden als »Tätervolk«
aufgeworfen hatte. Damit drohte für die Union die Gefahr, in eine ähnliche
Antisemitismus-Debatte zu geraten wie die FDP im Frühjahr und Sommer 2002
nach Jürgen Möllemanns Attacken auf Michel Friedman. Dies wollte die
CDU-Führung offenkundig nicht riskieren und distanzierte sich eiligst von
ihrem Innenpolitiker Hohmann.
Sicher wäre es falsch, der Union insgesamt Antisemitismus zu
unterstellen. Aber die Distanzierungen von Hohmann wären glaubwürdiger,
wenn es nicht eine lange Tradition in der CDU und vor allem in der CSU gäbe,
am rechten politischen Rand im trüben zu fischen. Und Martin Hohmann war
dabei bisher für die Union ein willkommener Helfer.
Entgegen der gängigen These, wonach Wahlen in der »Mitte« gewonnen
werden, achtete die CDU/ CSU stets sorgfältig und wohl kalkuliert darauf,
auch den faschistoiden rechten Rand der Gesellschaft zu bedienen. In der
Restaurationsphase der Adenauer-Ära wurden bewußt Altnazis wie der
Kommentator der rassistischen und antisemitischen Nürnberger Gesetze,
Hans Globke, in die damalige Bundesregierung aufgenommen. Der politische
Arm der revanchistischen Vertriebenenverbände, die Deutsche Partei sowie
der BHE (Bund der Heimatlosen und Entrechteten), später fusioniert zur
Gesamtdeutschen Partei, wurde in die Union integriert. Franz Josef Strauß,
in der Spiegel-Affäre wegen Belügen des Parlaments gestürzter
Verteidigungsminister, später in die Große Koalition von CDU/CSU und SPD
als Finanzminister wieder aufgenommen, erhob den Nationalismus zur
politischen Doktrin der CSU. Er postulierte, daß es rechts neben der CSU
keine nennenswerte politische Kraft geben dürfe, das heißt,
Neofaschismus wurde durch Übernahme nationalistischer und rassistischer
Positionen »bekämpft«, indem diesem Spektrum eine Heimat in der CSU
geboten wurde.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Bundestagswahlkampf 2002 gab
sich Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber zwar etwa in der Sozialpolitik
moderat, die Rolle des Hardliners übernahm aber für ihn Bayerns
Innenminister Günther Beckstein. Dieser sorgte mit einer rigiden Ausländerpolitik
und mit dem Ruf nach Law and Order für die gewünschten Stimmen von
rechts.
Diese Arbeitsteilung war aber nie nur ein Merkmal der CSU, sondern auch
der CDU. So brachte es ein stramm Nationalkonservativer wie Alfred
Dregger, erbitterter Gegner der sozialliberalen Entspannungspolitik, zum
langjährigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sein Nachfolger
im Wahlkreis Fulda, dort 1998 direkt gewählt mit 49,5 Prozent, wurde just
Martin Hohmann, der sich in der Folgezeit als typischer Vertreter eines
militant-konservativen Katholizismus der Prägung des berühmt-berüchtigten
Fuldaer Erzbischofs Johannes Dyba profilierte.
Martin Hohmann, im persönlichen Umgang höflich und zurückhaltend,
machte aus seinen reaktionären politischen Ansichten nie ein Hehl. Unter
Berufung auf die Bibel forderte er, Homosexuellen keine »falsche, feige
Toleranz und Akzeptanz« entgegenzubringen. Das Gesetz über homosexuelle
Lebenspartnerschaften löste bei ihm »Empörung und Entsetzen« aus. Die
CDU-Kampagne gegen die doppelte Staatsangehörigkeit, die Roland Koch
einen Wahlsieg in Hessen und das Amt des Ministerpräsidenten einbrachte,
unterstützte Hohmann aktiv. Als Mitglied des Innenausschusses des
Bundestags kritisierte er das – aus seiner Sicht – »totalitäre
Gutmenschentum«. Als eines seiner politischen Hauptziele bezeichnet der
55jährige den Kampf gegen die multikulturelle Gesellschaft. Interviews
gab und gibt er gerne der Jungen Freiheit, die vom Verfassungsschutz in
Nordrhein-Westfalen als rechtsextremistische Publikation beobachtet wird.
In dieser Wochenschrift nannte er die Berliner Großdemonstration gegen
rechts Ende 2000 »beschissen«, weil an dieser Demo auch die PDS
beteiligt war. Selbstverständlich war und ist Hohmann ein entschiedener
Gegner der Wehrmachtsausstellung von Jan Philipp Reemtsma.
All dies konnte der CDU-Führung und Angela Merkel
nicht unbekannt sein. Dennoch betraute die Union Martin Hohmann mit dem
Thema »Zwangsarbeiterentschädigung«, wohl wissend, daß Hohmann
der Meinung war, die Deutschen hätten schon genug für die Naziverbrechen
bezahlt, umgekehrt aber seien etwa deutsche Kriegsgefangene nicht
hinreichend entschädigt worden. So saß bei den internationalen
Verhandlungen in den Jahren 1999 und 2000, als endlich – skandalös spät!
– über symbolische finanzielle Leistungen an die Opfer der Zwangsarbeit
gesprochen wurde – für die CDU/CSU ausgerechnet Martin Hohmann mit am
Tisch. Nicht genug damit, durfte er für die Union auch noch im Bundestag
bei der Verabschiedung des Stiftungsgesetzes (das die Zwangsarbeiterentschädigung
regelt) das Wort ergreifen.
Die internationale Aufmerksamkeit, welche diese historische Debatte auf
sich zog, nutzte Hohmann dazu, um im Bundestag die Frage zu stellen,
welche Höhe denn nunmehr die deutschen Entschädigungsleistungen schon
erreicht hätten und ob nicht daher die – ohnehin geringen – Zahlungen
an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter als »übertrieben«
anzusehen seien. Als einer der wenigen Abgeordneten stimmte Hohmann gegen
das Stiftungsgesetz. Gleichwohl entsandte ihn die CDU/CSU als
stellvertretendes Mitglied in das Kuratorium der Stiftung »Erinnerung,
Verantwortung, Zukunft«, die die Auszahlung der Gelder kontrolliert. Die
politische Absicht ist leicht durchschaubar. Die Union ließ in einer
Frage wie der Zwangsarbeiterentschädigung eben auch jemandem wie Hohmann
Raum, sich zu artikulieren, um rechte Wähler zu bedienen.
Nach alledem sind Hohmanns jüngste Entgleisungen keineswegs ein Blitz aus
heiterem Himmel. Sie passen in das »Schlußstrich-Denken« des
Abgeordneten, der selbst formuliert: »Viele unserer Wähler stehen –
wie ich selbst – eben rechten Werten näher als linken.« Eben das weiß
auch die Unionsführung, und sie hat es jahrelang für sich genutzt. Denn
Hohmann wurde von seiner Partei 2002 in Fulda wieder als Direktkandidat für
den Bundestag nominiert, und sein strikt rechter Kurs kam offenbar in der
Bevölkerung gut an. Mit 54 Prozent wurde er wiedergewählt. Es ist nicht
bekannt, daß dies der CDU-Führung peinlich gewesen wäre. Erst jetzt ist
anscheinend für Angela Merkel das Maß voll. Zu spät: Längst ist die
Affäre nicht mehr allein ein Skandal Hohmann, sondern genauso auch ein
CDU-Skandal.
Junge Welt http://www.jungewelt.de/2003/11-03/013.php
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