Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit
von Rüdiger
Safranski
... Zuletzt sollte die jüngste Heidegger-Biografie, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, von Rüdiger Safranski erwähnt werden. Dieses Buch ist, anders als Noltes überschwengliche Unterstützung von Heideggers Nähe zum Nationalsozialismus, [*] ein Rückzug zu einer orthodoxeren Verteidigung Heideggers. Wieder einmal präsentiert man uns eine schizophrene Unterscheidung zwischen dem Menschen Heidegger und dem Philosophen. Der Autor legt sorgfältig die bekannten Fakten über Heideggers Verbindung mit dem Nationalsozialismus vor. Es ist nicht länger haltbar, diese Tatsachen zu leugnen. Gleichzeitig trägt er Sorge für eine in großen Teilen positive Deutung von Heideggers Ideen.
Während er die Ausschweifung und logischen Turnübungen von Lacoue-Labarthe und anderen Dekonstruktionisten vermeidet, scheint Safranski unfähig zu sein, irgendein wesentliches Urteil über das Objekt seiner Forschungen zu fällen. Diese Unzulänglichkeit, ein geläufiges Markenzeichen modernen Biografien und der derzeitigen Geschichtsschreibung, wird in dem düsteren kulturellen Kontext heutzutage als Vorzug betrachtet. Die Schlagwörter hierzu lauten "unvoreingenommen" und "ausgewogen". Trotz der detaillierten Fakten ist wenig verstanden worden. Dieses Buch ist auf seine eigene Art ein Beitrag zur Verschleierung. Am Ende stellte sich Safranski auf die Seite derjenigen, die Heidegger dafür loben, dass er es für uns möglich machte "Auschwitz zu denken". Er schreibt:
"Wenn Heidegger die Zumutung zurückwies, sich als potentieller Komplize des Mordes zu verteidigen, dann bedeutete das nicht, dass er sich der Herausforderung verweigerte, ‚Auschwitz zu denken‘. Wenn Heidegger über die Perversion des neuzeitlichen Willens zur Macht spricht, dem die Natur und der Mensch zum bloßen Material seiner Machenschaften wird, ist Auschwitz ausdrücklich oder unausdrücklich immer mitgemeint. Für ihn - wie auch für Adorno - ist Auschwitz ein typisches Verbrechen der Moderne."
Wir kommen nicht umhin, die Arroganz in Safranskis Nebeneinanderstellung von Heidegger und Adorno zu kommentieren. Adorno verachtete Heidegger und hatte nichts als Geringschätzung für Heideggers "Jargon der Eigentlichkeit" über, den er als eine Form der philosophischen Scharlatanerie ansah, die sich selbst als tiefgründige Einsicht ausgibt. Safranskis klägliches Buch stellt trotz seiner Auflistung der Fakten nur eine weitere Verteidigungsschrift für Heidegger Verstrickung in den Nationalsozialismus dar. Nichtsdestotrotz fielen die Besprechungen größtenteils positiv aus.
Ein typisches Beispiel hierfür ist Richard Rorty, der schrieb: "Heidegger war blind gegenüber der Qual seiner jüdischen Freunde und Kollegen, aber nach einem Jahr hektischer Propaganda und Organisierung bemerkte er, dass die höheren Nazis ihm keine große Aufmerksamkeit schenkten. Dies reichte, um ihm zu beweisen, dass er den Nationalsozialismus überschätzt hatte.
Also zog er sich in seine Berghütte zurück und, wie es Safranski so nett sagt, tauschte die Entschiedenheit gegen Unerschütterlichkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg, erklärte er, einfallsreich wenn auch monomanisch, dass Amerikanisierung, moderne Technologie, die Trivialisierung des Lebens und die völlige Vergesslichkeit des Seins (vier Namen, so dachte er, für dasselbe Phänomen) nicht umkehrbar waren."...
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...Er [Heidegger] wurde Rektor der Freiburger Universität im April 1933, drei Monate nachdem Hitler an die Macht gekommen war. Seine schändliche Antrittsrede hielt er am 27. Mai 1933. Heideggers Verteidiger haben behauptet, dass dieses Grußwort einen Versuch darstellte, die Autonomie der Universität zu behaupten gegen die Anstrengungen der Nazis, die Wissenschaft ihrer reaktionären Doktrin unterzuordnen.
Tatsächlich aber war die Rede ein Ruf zu den Waffen für die Studentenschaft und die Fakultät, um dem neuen nationalsozialistischen Regime zu dienen. Sie feierte den Aufstieg der Nazis als "den Marsch, den unser Volk in seine künftige Geschichte angetreten hat". Heidegger identifiziert die deutsche Nation mit dem nationalsozialistischen Staat in Worten von dem Volk, das sich selbst in "seinem" Staat weiß. Es gibt sogar einen Hinweis auf die faschistische Ideologie des zoologischen Determinismus, wenn Heidegger "die Macht der tiefsten Bewahrung seiner [des Volks] erd- und blutnahen Kräfte" beschwört...
...Am 21. August 1933 setzte Heidegger das Führerprinzip in Freiburg durch. Dies bedeutete, dass der Rektor nicht mehr wie üblich von der Fakultät gewählt, sondern fortan vom nationalsozialistischen Erziehungsminister ernannt wurde. Mit dieser Stellung besaß der Führerrektor uneingeschränkte Autorität über das universitäre Leben. Am 1. Oktober 1933 erreichte er sein Ziel, als er offiziell zum Führer der Freiburger Universität ernannt wurde. Für Heidegger war dies ein Meilenstein in seinem Bestreben, der führende Philosoph des Naziregimes zu werden. Er stellte sich eine Beziehung vor, in der er der Hofphilosoph Hitlers wäre.
Am 4. September 1933, in Antwort auf einen Ruf der Universität München, schrieb er: "Ich bin noch nicht gebunden, nur das weiß ich, dass ich unter Zurückstellung alles Persönlichen mich für die Aufgabe entscheiden muss, durch deren Erfüllung ich dem Werk Adolf Hitlers am besten diene."
Am 3. November 1933 erließ Heidegger in seiner Rolle als Führerrektor ein Dekret, das die Rassengesetze der Nazis auf die Studentenschaft der Universität anwandte. Der Kern des Erlasses bestand in der Gewährung von Vergünstigungen für Studenten, die der SS, der SA und anderen Wehrverbänden angehörten. Jüdischen oder marxistischen Studierenden und jedem, der nach den Gesetzen der Nazis als Nicht-Arier angesehen wurde, wurde finanzielle Hilfe verweigert...
...Die Dokumente zeigen auch, dass Heidegger, während er öffentlich die Sache der Nazis lobpreiste, im Privaten daran arbeitete, die Karriere von Studenten und Kollegen zu zerstören, die jüdischer Herkunft waren oder ihm in ihren politischen Ansichten suspekt erschienen. Unter den erdrückenden Beweisen, die gefunden wurden, finden sich folgende Fälle:
Hermann Staudinger, ein Professor für Chemie in Freiburg, dem später, im Jahre 1953, der Nobelpreis verliehen wurde, wurde von Heidegger heimlich aufgrund seines Pazifismus im Ersten Weltkrieg denunziert. Diese Information wurde dem örtlichen Kultusminister am 10. Februar 1934 übermittelt. Staudinger wurde mit dem Verlust seiner Arbeit und seiner Pension konfrontiert. Einige Wochen später setzte Heidegger sich beim Minister für eine mildere Strafe ein. Diese Handlung war nicht durch ein schlechtes Gewissen oder plötzliches Mitleid motiviert, sondern einfach eine taktische Reaktion, da Heidegger fürchtete, dass die Entlassung eines sehr bekannten Akademikers international Aufmerksamkeit erregen könnte. Er schrieb dem Minister, dass seine Bitte, Staudinger nur in den Ruhestand zu versetzen, an seiner Einschätzung der Sache selbst nichts ändere; es gehe allein darum, neuerliche Komplikationen mit dem Ausland zu vermeiden. Das Ministerium zwang Staudinger, einen Antrag auf Entlassung zu unterschreiben. Dieser Antrag lag sechs Monate bei den Akten, bevor das Ministerium, da keine "neuerliche[n] Bedenken" aufgetaucht waren, Staudinger zugestand, seinen Antrag zurückzuziehen, und ihn wieder in seine Position einsetzte.
Der Fall von Eduard Baumgarten bietet ein anderes Beispiel für den krassen Opportunismus und die Rachsucht, die von Heidegger an den Tag gelegt wurde. Baumgarten war ein Student der amerikanischen Philosophie, der an der Universität von Wisconsin in den 20-er Jahren Vorlesungen gehalten hatte. Er kehrte nach Deutschland zurück, um unter Heidegger zu studieren, und die zwei Männer schlossen eine enge Freundschaft. Im Jahr 1931 entbrannte allerdings ein persönlicher Streit unter ihnen, nachdem sich Heidegger gegen Baumgartens Werk über den amerikanischen Pragmatismus gewandt hatte. Baumgarten verließ Freiburg, um amerikanische Philosophie an der Universität von Göttingen zu unterrichten. Am 16. Dezember 1933 übernahm Heidegger einmal mehr die Rolle des Denunzianten und schrieb einen Brief an den Kopf der nationalsozialistischen Professoren in Göttingen, der wie folgt lautete: "Dr. Baumgarten kommt verwandtschaftlich und seiner geistigen Haltung nach aus dem liberal-demokratischen Heidelberger Intellektuellenkreis um Max Weber. Während seines hiesigen Aufenthalts [in Freiburg] war er alles andere als ein Nationalsozialist. Ich bin überrascht zu hören, dass er in Göttingen Privatdozent ist, denn ich kann mir nicht denken, aufgrund welcher wissenschaftlichen Leistungen er zur Habilitation zugelassen wurde. Nachdem Baumgarten bei mir gescheitert war, verkehrte er sehr lebhaft mit dem früher in Göttingen tätig gewesenen und nunmehr hier entlassenen Juden Fränkel."...
...Zuletzt gibt es den Fall vom Umgangs Heideggers mit seinem ehemaligen Lehrer Edmund Husserl. Husserl gründete die philosophische Schule der Phänomenologie und genoss einen internationalen Ruf, der dem Heideggers gleichkam. Husserl war außerdem Jude. Er fiel unter den Erlass der Rassengesetzen und ihm wurde verweigert, die Universitätsbibliothek in Freiburg zu benutzen. Bei der Umsetzung der Nazierlasse tat Heidegger nicht nur einfach seine Pflicht als nationalsozialistischer Führerrektor. Es gibt zahlreiche Beweise, die vermuten lassen, dass er begeistert eine Mission erfüllte, mit der er sich identifizierte...
...Es gibt eine weitere biografische Tatsache, über die die Verteidiger Heideggers nicht hinweggehen können. Heidegger war sein Leben lang der Freund eines Mannes namens Eugen Fischer. Fischer war in den ersten Jahren der Naziherrschaft als führender Befürworter der Rassengesetze aktiv. Er war der Leiter des Instituts für Rassenhygiene in Berlin, das die Rassentheorien der Nazis propagierte. Einer der "Forscher" an seinem Institut war der berüchtigte Dr. Joseph Mengele. Fischer war einer der geistigen Väter der nationalsozialistischen "Endlösung". Heidegger bewahrte eine herzliche Beziehung zu Fischer zumindest bis ins Jahr 1960, in dem er Fischer ein Weihnachtsgeschenk mit Grüßen sandte. Es scheint nicht vermessen, anzunehmen, dass Heidegger aufgrund seiner persönlichen Beziehung zu Fischer zu einem sehr frühen Zeitpunkt von den Völkermordplänen der Nazis gewusst haben könnte...
...Die Bestandesaufnahme zeigt, dass Heidegger nach dem Krieg seine Unterstützung für die Nazis niemals öffentlich oder privat als Unrecht oder Schuld anerkannt hat. Und dies obwohl er von ehemaligen Freunden, darunter Karl Jaspers und Herbert Marcuse, gedrängt wurde, sich nun, nachdem er sicher war, gegen die vielen vom Naziregime begangenen Verbrechen auszusprechen. Heidegger tat dies nie. In einem Vortrag vom 1.Dezember 1949 verwies er allerdings flüchtig auf den Holocaust. Er sagte:
"Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben."
Indem er die Probleme der mechanisierten Landwirtschaft mit dem Holocaust gleichsetzte und dabei den letzteren bagatellisierte, demonstrierte Heidegger seine Verachtung für die jüdischen Opfer der Nazis...
Nach dem Krieg entschloss sich Heidegger in erster Linie Schweigen zu bewahren über seine Aktivitäten zugunsten der Nazis. Die wenigen Gelegenheiten, bei denen Heidegger eine öffentliche Stellungnahme wagte, waren bemerkenswert. Der erste Fall, in dem er überhaupt eine Einschätzung dieser Periode abgab, war ein eigennütziges Dokument, das er für die Entnazifizierungskommission geschrieben hatte. Wir werden dies im kommenden Teil der Artikelserie kommentieren. Die wichtigste Stellungnahme Heideggers in der Nachkriegszeit zu seinen politischen Aktivitäten in der Vorkriegszeit war ein Interview mit dem Magazin Der Spiegel aus dem Jahre 1966. Weil Heidegger darauf bestand, wurde das Interview erst nach seinem Tod 1976 veröffentlicht. Ein großer Teil der Diskussion dreht sich um die Frage der Technologie und die Bedrohung, die eine unbeschränkte Technologie für den Menschen darstellt. An einem Punkt sagt Heidegger:
"Es ist für mich heute eine entscheidende Frage, wie dem heutigen technischen Zeitalter überhaupt ein - und welches - politisches System zugeordnet werden kann. Auf diese Frage weiß ich keine Antwort. Ich bin nicht überzeugt, dass es die Demokratie ist."
Nachdem er eine ahistorische Vorstellung von der Technologie als absoluter Fluch für die Existenz der Menschheit entwickelt hat, erklärt Heidegger dann, wie er die nationalsozialistische Lösung dieses Problems begreift:
"[I]ch sehe gerade die Aufgabe des Denkens darin, in seinen Grenzen mitzuhelfen, dass der Mensch überhaupt erst ein zureichendes Verhältnis zum Wesen der Technik erlangt. Der Nationalsozialismus ist zwar in die Richtung gegangen; diese Leute aber waren viel zu unbedarft im Denken, um ein wirklich explizites Verhältnis zu dem zu gewinnen, was heute geschieht und seit drei Jahrhunderten unterwegs ist."
Es kann nicht bestritten werden, dass Heidegger zum Zeitpunkt seines Todes den Nationalsozialismus als eine politische Bewegung ansah, die in die richtige Richtung gegangen war. Wenn sie versagt hatte, dann weil seine Führer nicht radikal genug über das Wesen der Technologie dachten.
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[*] Noltes Verteidigung des Holocaust liegt in der folgenden rhetorischen Frage:
"Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‚asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten? War nicht der ‚Archipel GULag‘ ursprünglicher als Auschwitz?"
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Quelle: http://www.wsws.org/de/2000/apr2000/hei1-a28.shtml