Armin Fiand

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Rechtsanwalt

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Armin Fiand, Xxxxxxxxxx, 22399 Hamburg

Offener Brief

Persönlich

 

Frau Prof. Dr. Jutta Limbach

c./o. Goethe-Institut Inter Nationes

 

präsidentin@goethe.de

 

 

 

 

13. Oktober 2002

 

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Limbach,

 

ich habe vor einigen Tagen die Dokumentation "Honeckers Flucht - Das Ende eines Kommunisten"  im Ersten gesehen, die einen vorzüglichen Überblick über den chronologischen Ablauf der damaligen Geschehnisse bietet. Sie waren, als Honecker inhaftiert und vor Gericht gestellt  wurde, Justizsenatorin in Berlin. Demgemäß kommen Sie in der Dokumentation als Zeitzeugin zu Wort. Ihre Statements haben mich, wie ich bekennen muß, ziemlich irritiert, weil sie nicht im Einklang stehen mit Ihrem tatsächlichen Verhalten.

 

Als Honecker in der chilenischen Botschaft in Moskau Zuflucht gefunden hatte und es um seine Rückführung nach Deutschland ging, wurde dem chilenischen Sonderbotschafter die Zusage gegeben, daß (Originaltext Ihres Statements)

 

wir dem Gesundheitszustand Honeckers die notwendige Aufmerksamkeit zukehren  würden, daß wir ihm also die entsprechende ärztliche Betreuung und Kontrolle zur Verfügung stellen würden und daß ein Mann, der auf Grund von Krankheit nicht artikulationsfähig ist, im Grunde nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, daß der auch nach rechtsstaatlichen Prinzipien in der Bundesrepublik dann nicht strafverfolgt werden wird.

 

Ich kann nicht feststellen, daß diese Zusage eingehalten worden wäre. Honecker, obwohl lebensbedrohlich erkrankt, wird in Berlin vor Gericht gestellt. Ihm wird unterstellt, daß er simuliere. Seine Menschenwürde wird eklatant mißachtet.

 

Auf Grund einer von den Anwälten Honeckers erhobenen Verfassungsbeschwerde muß sich Anfang 1993 das Berliner Verfassungsgericht mit dem Fall beschäftigen. Es trifft am 12. Januar 1993 eine Entscheidung, mit der Honecker praktisch auf freien Fuß gesetzt wird. In der Entscheidung wird ausgeführt, daß es nicht gerechtfertigt sei, gegen einen Angeklagten zu verhandeln, der so krank sei, daß er bald sterben werde.

 

Auf der Grundlage der vom Landgericht Berlin eingeholten Gutachten und sonstigen Erhebungen der medizinischen Sachverständigen war das Verfassungsgericht zu der Überzeugung gekommen, daß Honecker wegen seiner weit fortgeschrittenen Krebserkrankung den Abschluß des Strafverfahrens vor der Strafkammer mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht mehr erleben werde.

 

In der Entscheidung des Verfassungsgerichts heißt es:

 

Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, daß das gegen den Beschwerdeführer anhängige Strafverfahren seinen gesetzlichen Zweck nicht mehr erreichen kann, der darin besteht, den legitimen Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der dem Beschwerdeführer in der Anklage zur Last gelegten Taten und gegebenenfalls auf Verurteilung und Bestrafung zu erfüllen (vgl. dazu BVerfGE20, 45 [49]). Das Strafverfahren wird damit zum Selbstzweck; für die weitere Durchführung eines solchen Strafverfahrens gibt es keinen rechtfertigenden Grund. Auch der eine Untersuchungshaft anordnende Haftbefehl ist nicht Selbstzweck, sondern hat die ausschließliche Funktion, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen."

 

In der Fernsehdokumentation kommentieren Sie diese Entscheidung des höchsten Berliner Gerichts wie folgt (Originaltext):

 

Wir jedenfalls hatten das Gefühl und dem folgte dann auch diese Promptheit des Verfahrens, daß wir jetzt auch wirklich alles zum Schutze von Herrn Honecker tun müssen, ob uns der Ausgang des Verfahrens gefällt oder nicht. Rechtskräftige und rechtsstaatliche Entscheidungen sind zu respektieren und deshalb auch die Unverzüglichkeit , mit der im Grunde genommen dann dieser Abtransport Honeckers nach Chile verabredet worden ist und durchgeführt worden ist.

 

Ich habe die damaligen Vorgänge anders in Erinnerung.

 

Die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts haben Sie keineswegs ohne weiteres  hingenommen und respektiert.  Sie haben vielmehr massiv interveniert, zwar nicht in Person, aber über die Berliner Staatsanwaltschaft und Generalstaats -anwaltschaft, deren weisungsbefugte Dienstherrin sie waren.

 

Staatsanwalt  Großmann von der Abteilung Regierungskriminalität  erhob Einspruch bei der 27. Großen Strafkammer, bei der der Prozeß gegen Honecker anhängig war. Er protestierte nachdrücklich gegen eine Einstellung des Verfahrens

 

"... kann die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht als verbindliche Vorgabe für eine erneute Entscheidung des Landgerichts über die Anträge des Angeklagten Honecker auf Einstellung des Verfahrens und Aufhebung des Haftbefehls gegen ihn angesehen werden."

 

Der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht mußte sich in einer Presseerklärung

 

" ... mit aller Entschiedenheit gegen den Vorwurf verwahren, daß das Strafverfahren gegen Erich Honecker nicht rechtsstaatlich geführt worden sei. Insbesondere die Feststellung, daß der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, das Landgericht und das Kammergericht hätten das Grundrecht der Menschenwürde des Angeklagten überhaupt nicht in Erwägung gezogen, entbehrt jeder Grundlage."

 

Diese Einmischung wurde in der Öffentlichkeit als dermaßen unangebracht und gravierend angesehen, daß sich der Präsident der Rechtsanwaltskammer von Berlin veranlaßt sah, Ihnen zu schreiben:

 

„Selbstverständlich halte ich Kritik und Urteilsschelte an Entscheidungen von Gerichten für zulässig. Eine derart heftige Kritik, wie sie in der Pressemitteilung geübt wird, ist mir gegenüber einer Entscheidung anderer Verfassungsgerichte der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht bekannt geworden. Ich halte sie für ungehörig. Sie ist umso mehr zu bedauern, weil die Richter des Verfassungsgerichtshofs sich nicht wehren können, denn Verfassungsrichter verteidigen ihre Entscheidungen nicht in der Öffentlichkeit. Die Kritik ist aber nicht nur ungehörig, mit ihr wird auch offenbar, welche geringe Achtung die Strafverfolgungsbehörden dieser Stadt vor dem höchsten Berliner Gericht, dem Wahrer der Verfassungsrechte haben."

 

Generalstaatsanwalt Neumann legte, als er wegen seiner Pressemitteilung in die Kritik geriet, Wert auf die Feststellung, daß die Mitteilung nicht seiner Intention entsprochen habe. Er habe sie auf Ihre Weisung hin schreiben müssen, sie hätten ihm also gleichsam die Hand geführt.

 

Ich weiß nicht, sehr verehrte Frau Limbach, was Sie dazu bewogen hat, die Dinge in der Fernsehdokumentation anders, nämlich so darzustellen, als hätten Sie alles getan, um Honecker unbehelligt zu lassen und ihm eine unverzügliche und ungestörte Ausreise nach Chile zu ermöglichen. Wäre es nach Ihnen gegangen, hätte sich Honecker auch weiterhin vor Gericht verantworten müssen.  Das war aus Ihrer Sicht auch nur  folgerichtig.

 

So, als wären Sie vom Berliner Senat nicht als Justizsenatorin, sondern als oberste Sonderermittlerin in Sachen "Regierungskriminalität der DDR" berufen worden, hatten sie sich mit Nachdruck für eine energische Strafverfolgung “der Verantwortlichen des  DDR-Grenzregimes” eingesetzt. In zahlreichen Äußerungen hatten Sie zum Ausdruck gebracht, daß Sie die Anordnungen der staatlichen Führung der DDR, auf denen nach Ihrer Ansicht die Tötung von sogenannten Republikflüchtlingen an der innerdeutschen Grenze durch Minen, Selbstschußanlagen und den Schußwaffengebrauch der Grenztruppe beruhte, als strafbares Unrecht ansähen, dessen Verfolgung durch die Strafjustiz eine notwendige und für die Rechtskultur wichtige Aufgabe sei. Sie hatten wiederholt die Auffassung vertreten, daß das Verfassungsrecht einer solchen Strafverfolgung nicht entgegenstehe. Damit wollten Sie entsprechende Bedenken der Berliner Staatsanwaltschaft ausräumen.

 

Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich Sie in Anbetracht Ihres Verhaltens in Berlin,  das, um das zurückhaltend zu formulieren, dem Amte einer Justizsenatorin nicht gemäß war, als ungeeignet für das Amt der Präsidentin des höchsten deutschen Gerichts angesehen habe. Daß Sie sich dann in Einzelfällen, in denen über Verfassungsbeschwerden von Verantwortungsträgern der ehemaligen DDR zu entscheiden war, für befangen erklärt haben, ändert an dieser Einschätzung nichts. Besser wäre es gewesen, wenn Sie von vornherein auf Grund Ihrer einseitigen politischen und rechtlichen Festlegungen auf das Amt verzichtet hätten. Sie haben, indem Sie das Amt übernommen haben, denen Wasser auf die Mühlen gegeben, die von einer voreingenommenen Justiz in der BRD oder gar von Siegerjustiz reden.

 

In der Fernsehdokumentation erklären Sie:

 

Mord und Totschlag stand auch in der DDR unter Strafe. Und die Menschenrechte kannte auch die DDR-Verfassung. Die DDR war auch der KSZE beigetreten. Und selbst wenn man das Grenzschutzgesetz nimmt, gab es da Normen, die deutlich machten, daß Leben und Gesundheit von Menschen zu respektieren sind.

 

Das ist im Prinzip richtig. Aber ebenso richtig ist, daß es hierauf nicht ankommt. Denn es kann nicht außer Acht gelassen werden, was im Einigungsvertrag vom 31.08.1990 vereinbart worden ist. Dort heißt es:

 

Artikel 315 EGStGB erhält folgende Fassung:

 

Art. 315. Geltung des Strafrechts für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten.

 

Auf vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten findet § 2 des Strafgesetzbuches mit der Maßgabe Anwendung, daß das Gericht von Strafe absieht, wenn nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht der Deutschen Demokratischen Republik weder eine Freiheitsstrafe noch eine Verurteilung auf Bewährung noch eine Geldstrafe verwirkt gewesen wäre.

 

Zwischen "mit Strafe bedroht" und "Strafe verwirkt" besteht, wie Sie wissen, ein erheblicher juristischer Unterschied. Nur wenn im konkreten Fall nicht nur eine Strafe angedroht ist,  sondern eine solche auch ausgesprochen wird oder ausgesprochen worden wäre, ist oder wäre eine Strafe verwirkt. Es kommt also nicht auf den Wortlaut des Strafgesetzbuches der DDR, sondern darauf an, ob Krenz und die anderen wegen der Toten an der Mauer von den Gerichten in der DDR wegen Mordes oder Totschlags oder Teilnahme an diesen Delikten verurteilt worden wären. Diese Frage läßt sich ohne Umschweife mit einem klaren "Nein"  beantworten, wobei es dahingestellt sein kann, ob schon die Tatbestandsmäßigkeit verneint oder Rechtfertigungsgründe angenommen worden wären, die die Rechtswidrigkeit ausschließen. Daß es nicht zulässig ist, das Recht der DDR nach dem Rechtsverständnis der BRD zu interpretieren, sollte sich von selbst verstehen.

 

Das Strafrecht der DDR unterschied sich grundlegend vom Strafrecht der BRD. Schon der ideologische Ausgangspunkt war ein ganz anderer. Daß dies jemals von einem Gericht in der BRD berücksichtigt worden wäre, ist mir nicht bekannt. Stattdessen ist man hier davon ausgegangen, daß die DDR, wenn sie schon kein mit dem Recht der Bundesrepublik vergleichbares Rechtssystem hatte, ein solches hätte haben müssen. Absurder geht es nicht.

 

Für mich stellt sich auch die Frage: Woher nimmt ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik, der nichts dabei findet, sich an völkerrechtswidrigen Aktionen zu beteiligen (siehe den Krieg der Nato gegen Jugoslawien, siehe den Krieg der USA und ihrer verbündeten gegen Afghanistan), in denen unter dem Buchungsposten "bedauerliche Kollateralschäden" Tausende unschuldiger Zivilisten zu Tode gebombt werden, das Recht, über die Repräsentanten eines untergegangenen Staates mit der Begründung zu Gericht zu sitzen, sie hätten in einer gröblichen und sträflichen Weise das höchste Menschenrecht, nämlich das auf Leben, mißachtet.

 

Um Ihren Hinweis auf die Gesetzeslage in der ehemaligen DDR aufzugreifen: Stehen denn Mord und Totschlag nicht auch nach den Gesetzen der Bundesrepublik unter Strafe? Hatten nicht auch die in den erwähnten Kriegen getöteten Zivilisten das Recht, zu leben?

 

Zur Klarstellung. Ich bin kein Kommunist, sondern gehöre derselben Partei an wie Sie und das seit über 40 Jahren. Aber ich habe etwas gegen Heuchelei, insbesondere gegen die, die sich seit der Wiedervereinigung in unserem Staate breit gemacht hat.

 

Vielleicht höre ich ja etwas von Ihnen.

 

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

( Fiand )