Lieber Armin,
wie besprochen sende ich Dir die Auszüge aus der Welt und meinen Brief an Herrn Teske. Er wird wohl wieder ohne Antwort bleiben, aber die sollen wissen, daß nicht alle Bundesbürger dumm geblieben sind.
Herzlichst Werner
Egon Krenz scheitert mit Klage in Straßburg
Urteil gegen letzten DDR-Staatschef wegen Mauer-Toten rechtens - Vorwurf der "Siegerjustiz" entkräftet
Berlin/Straßburg - Die deutsche Justiz hat den letzten DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz zu Recht wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze verurteilt. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gestern entschieden. Die 17 Richter der Großen Kammer beschlossen einstimmig, dass die Verurteilung von Krenz weder gegen das Völkerrecht noch gegen das DDR-Recht verstoßen habe. Das Gleiche gelte für die Urteile gegen den DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler und seinen Stellvertreter Fritz Strelitz. Der Europäische Gerichtshof sprach damit erstmals ein Urteil über die Aufarbeitung des DDR-Unrechts durch bundesdeutsche Gerichte. Krenz war 1997 vom Berliner Landgericht zu sechseinhalb Jahren Haft wegen Totschlags an DDR-Flüchtlingen verurteilt worden. Krenz hatte dies als "Siegerjustiz" kritisiert. Seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hatte er mit dem so genannten Rückwirkungsverbot begründet. Demnach kann niemand für Taten verurteilt werden, die zu ihrer Zeit nicht strafbar waren.
Bundesregierung, Opposition und frühere DDR-Bürgerrechtler haben das Scheitern von Krenz vor dem Gerichtshof in Straßburg begrüßt. Das Bundesjustizministerium wertete die Abweisung der Klage als grundsätzliche Bestätigung der Urteile deutscher Gerichte. Der Vollzug der vom Berliner Landgericht verhängten und vom Bundesgerichtshof sowie vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Freiheitsstrafe stehe "nunmehr endgültig auf gesicherter rechtlicher Grundlage", sagte ein Sprecher der Berliner Justizbehörde. Zugleich sei der Vorwurf einer "Siegerjustiz" von einem europäischen Gericht entkräftet worden.
Nach Meinung des parlamentarischen Geschäftsführers der CSU Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, festigt das Straßburger Urteil den Rechtsfrieden in Deutschland. Der Grünen-Rechtspolitiker Volker Beck sagte, das Urteil zeige, dass "sich Staatskriminalität nicht lohnt, weil man bestraft wird, wenn das Regime gestürzt ist".
Krenz dagegen kritisierte die Straßburger Entscheidung. "Ich habe ein Urteil bekommen, aber kein Recht", sagte der 64-Jährige. Zugleich hält er das Urteil des Gerichtshofes für politisch motiviert. "Die politischen Argumente der Bundesrepublik hatten mehr Gewicht als das hohe Gut des Rückwirkungsverbots", sagte Krenz im Berliner Inforadio.
Das frühere SED-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski sieht sich durch das Urteil in seiner Haltung bestätigt. Schabowski habe im Gegensatz zu Krenz seine Verurteilung akzeptiert und damit seine moralische und persönliche Schuld auf sich genommen, erklärte dessen Anwalt Ferdinand von Schirach. Das ehemalige Politbüro-Mitglied, das wegen Totschlags zu drei Jahren Haft verurteilt worden war, ist inzwischen begnadigt und seit Oktober wieder auf freiem Fuß.
Karin Gueffroy, die Mutter des letzten Mauer-Opfers, hat sich ebenfalls zufrieden über das Urteil geäußert. "Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass die europäischen Richter die Klage von Egon Krenz abgewiesen haben", sagte sie. Scharfe Kritik kam dagegen von der PDS. Ihr Ehrenvorsitzender Hans Modrow sprach wie Krenz von einem politisch motivierten Urteil. DW
Krenz ohne Legendenbildung
Kommentar
Von Knut Teske
Endlich ist die leidige Akte Egon Krenz juristisch zu schließen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bestätigte in letzter Instanz die Rechtmäßigkeit seiner Verurteilung durch das Berliner Landgericht, das den früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden und Chef der SED wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt hatte. Ein logisches Urteil. Alles andere hätte der deutschen Rechtsauffassung hohngesprochen, mag Krenz auch weiterhin von "Siegerjustiz" reden. Der Mann ist - im Gegensatz zu Günter Schabowski, einem anderen verurteilten SED-Politbüro-Mitglied - ohne jede Einsicht und gefällt sich als unschuldig Verfolgter.
Aber auch sein Hauptargument, man habe aus politischen Gründen gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, kann juristisch (moralisch ohnehin nicht) keinen Erfolg haben: Die Todesschüsse, die unter seiner Verantwortung fielen, verstießen schon damals gegen alle Menschen- und Völkerrechte. Das hätte auch Krenz, dem Befürworter der Nürnberger Prozesse, klar sein müssen.
Obwohl es, streng genommen, im Sinne einer juristischen Entscheidung nicht wichtig ist, ist es doch gut, dass das höchste europäische Gericht in diesem Fall das letzte Wort gesprochen hat. Das erschwert die Legendenbildung.
Den Autor erreichen Sie unter: teske@welt.de
Sehr geehrter Herr Teske,
mit Interesse habe ich Ihren Artikel in der Welt zu obigem Thema gelesen. Ich möchte Sie jedoch auf einen Sachverhalt hinweisen, der leider bisher in fast allen Presseorganen und auch in der Öffentlichkeit nicht bekannt wurde.Ich bin auch davon überzeugt, daß auch Sie davon keine Kenntnis hatten. Das halte ich für den wahren Skandal in dieser Sache. Es war nämlich Egon Krenz der den schrecklichen Schießbefehl in dem Augenblick aufgehoben hat, als der dazu überhaupt die Möglichkeit hatte. Voraussetzung dafür war der von ihm herbeigeführte Sturz Honeckers. Bitte nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie was das verurteilende Landgericht Berlin, doch eine unverdächtige Quelle, in seinem Urteil wörtlich ausgeführt hat:
"Im Namen des Volkes...Der Angeklagte Krenz wird wegen Totschlags sowie wegen tateinheitlich begangenen dreifachen Totschlags zu einer Gesamtstrafe von 6 (sechs) Jahren und 6 (sechs) Monaten verurteilt."
"Anfang April 1989 war es der Angeklagte Krenz, der eine Veränderung der Schußwaffenanwendungspraxis herbeiführte, als er Erich Honecker in dessen Abwesenheit als Generalsekretär vertrat...Die Initiative des Angeklagten Krenz fügte sich in sein bisheriges Verhalten ein. Auch wenn er stets die Unüberwindlichkeit der Grenzsperranlagen anstrebte und zu diesem Zweck auch die Tötung von Flüchtlingen als vorübergehend unvermeidbar in Kauf nahm, war es ihm von Beginn seiner Tätigkeit als Sekretär des Zentralkomitees und Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates und des Politbüros ein Anliegen, die Grenzsicherungsanlagen so zu gestalten, daß es möglichst nicht zur Anwendung der Schußwaffe gegenüber Flüchtlingen kommen brauchte...Im Herbst 1989 trug der Angeklagte maßgeblich zur Deeskalation der damaligen Situation bei, die ohne weiteres zu einem Bürgerkrieg mit unabsehbaren Folgen hätte führen können...Der Angeklagte Krenz sorgte sowohl in den Oktobertagen des Jahres 1989 mit den zahlreichen Großdemonstrationen in verschiedenen Großstädten der DDR als auch im November 1989 nach Öffnung der Mauer aktiv und initiativreich dafür, daß es zu keinem Blutvergießen kam. Die Kammer hat insoweit als wahr unterstellt, daß er im Zusammenhang mit der am 9. Oktober 1989 geplanten Großdemonstration in Leipzig dem Zeugen Prof. Dr. Friedrich, Direktor des Instituts für Jugendforschung der DDR versicherte, er werde alles in seiner Macht stehende tun, um ein Blutvergießen zu verhindern. Über diese Gespräch informierte er den Zeugen Dr. Herger, Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen des Zentralkomitees, und ordnete an, durch die Abteilung für Sicherheitsfragen des Zentralkomitees der SED alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte in Leipzig zu verhindern...Am 13. Oktober 1989 reiste er wegen einer für den 16. Oktober 1989 angekündigten Großdemonstration nach Leipzig und legte in Gesprächen mit der Bezirkseinsatzleitung in Leipzig im Beisen der Zeugen Dr. Herger, Streletz, Karl-Heinz Wagner - Stellvertreter des Ministers des Innern und Chef des Hauptstabes - und Rudi Mittig - Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit - fest, daß gegen Demonstranten grundsätzlich keine Gewalt angewendet werden dürfe, es sei denn, daß Sicherheitskräfte unmittelbar angegriffen würden und sich nicht anders verteidigen könnten...Am 13. Oktober 1989 formulierte er gemeinsam mit dem Zeugen Streletz...den Befehl Nr. 9/89 des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates, der auszugsweise wie folgt lautete: ´Zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in Leipzig und zur Verhinderung von Provokationen unterschiedlicher Art befehle ich:
...Der aktive Einsatz polizeilicher Kräfte und Mittel erfolgt nur bei
Gewaltanwendung der Demonstranten gegenüber den eingesetzten Sicherheitskräften bzw. bei Gewaltanwendung gegenüber Objekten auf Befehl des Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitung Leipzig. Der Einsatz der Schußwaffe im Zusammenhang mit möglichen Demonstrationen ist grundsätzlich verboten.`...Anschließend informierte der Angeklagte Krenz den Botschafter der UdSSR in der DDR Kotschemassow über die Lage in Leipzig und den Befehl Nr. 9/89, um zu verhindern, daß durch ein Verhalten sowjetischer Militärs der Eindruck entstehen konnte, die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) werde gegen Demonstranten eingesetzt werden. Er bat ferner den Zeugen Streletz, den Zeugen Armeegeneral Snetkow, den Oberkommandierenden der GSSD, gleichermaßen zu informieren und zu bitten, daß die sowjetischen Streitkräfte in und um Leipzig, Halle, Magdeburg und Berlin in den Kasernen verbleiben, um mögliche Eskalationen sicher zu vermeiden. Am 19. Oktober 1989 äußerte der Angeklagte Krenz gegenüber dem Vorsitzenden der Konferenz der evangelischen Kirchenleitung der DDR Landesbischof Dr. Leich, dem Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitung Bischof Dr. Demke (er war Stellvertreter des Vorsitzenden/ Anmerkung d.Verf.) , dem Konsistoriallpräsidenten Manfred Stope und dem Leiter des Sekretariats des Bundes der evangelischen Kirche der DDR, Oberkirchenrat Martin Ziegler, politische Fragen dürfen nur politisch gelöst werden. Das Anliegen der der neuen Partei- und Staatsführung sei es, daß es zu keiner Konfrontation komme. Am 24. Oktober 1989 erklärte der Angeklagte Krenz in seiner Rede vor der Volkskammer der DDR, daß umgehend rechtliche Regelungen zu schaffen seien, um die weitere Verfolgung von DDR - Bürgern, die ungesetzlich die DDR verlassen wollten, zu beenden. Auf Initiative des Angeklagten Krenz faßte der Staatsrat der DDR am 27. Oktober 1989 einen Beschluß über eine Amnestie von Personen, die vor dem 27. Oktober 1989 Straftaten des ungesetzlichen Grenzübertritts sowie Straftaten begangen hatten, die darauf gerichtet waren, die Ausreise aus der DDR widerrechtlich durchzusetzen...Am 31. Oktober 1989 flog der Angeklagte Krenz nach Moskau und erläuterte...Michail Gorbatschow einen Befehlsentwurf, der die Anwendung der Schußwaffe im Zusammenhang mit Demonstrationen auch im Grenzgebiet strikt verbot, dahingehend: ´Die DDR wird versuchen, jeden Schußwaffengebrauch an der Grenze zu verhindern...Es wird nur geschossen, wenn akute Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Grenzsoldaten besteht.` Hiermit erklärte sich Gorbatschow nach längeren Beratungen einverstanden. Der Angeklagte Krenz erließ daraufhin den Befehl Nr. 11/89 des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik vom 3. November 1989...Dieser Befehl sollte sicher stellen, daß bei einer für den 4. November 1989 angekündigten Demonstration in Berlin, bezüglich derer der Angeklagte Krenz erfahren hatte, daß eine größere Gruppe von Demonstranten die Grenzsicherungsanlagen um das Brandenburger Tor stürmen wollte, die Schußwaffe nicht zum Einsatz kommen würde. Nachdem der Angeklagte Schabowski in den frühen Abendstunden des 9. November 1989 auf einer auch im Fernsehen der DDR direkt übertragenen Pressekonferenz bekanntgegeben hatte, daß Privatreisen ins Ausland ab sofort ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden könnten..., kam es in der Nacht zum 10. November 1989 zu einem Massenansturm von Bürgern der DDR auf die Grenzübergangsstellen zum Westteil Berlins. Die von dem Angeklagten Krenz als Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates vorgegebene Grundrichtung, keine Gewalt anzuwenden, führte dazu, daß diese Nacht einen unblutigen Verlauf nahm. Auf Grund des Befehls 11/89 waren die Sicherheitskräfte auch in der Nacht vom 9. zum 10. November 1989 bis zur Verkündung eines anders lautenden Befehles auf die Nichtanwendung der Schußwaffe verpflichtet. Die unter Führung des Angeklagten Krenz vom Politbüro eingeschlagene Linie, nur eine politische, nicht aber eine militärische oder polizeiliche Lösung in Betracht zu ziehen, verfolgte der Angeklagte auch in der Folgezeit weiter und unterrichtete hiervon am 10. November 1989 Michail Gorbatschow. Er bat ihn, den Botschafter Kotschemassow zu beauftragen, unverzüglich mit den Vertretern der Westmächte im Westteil Berlins Verbindung aufzunehmen, um zu gewährleisten, daß sie die normale Ordnung in der Stadt aufrechterhalten und westliche Provokationen an der Grenze verhindern".
So steht es im schriftlichen Urteil.
Wenn man Herrn Krenz nun vorhält, er hätte sich früher für eine Änderung des Regimes einsetzen müssen so übersieht man, daß selbst Gorbatschow noch am 16.April 1986 anläßlich eines Besuches am Brandenburger Tor den Grenztruppen in das Gästebuch folgende Widmung schrieb: " Am Brandenburger Tor kann man sich anschaulich davon überzeugen, wie viel Kraft und wahrer Heldenmut der Schutz des ersten sozialistischen Staates auf Deutschen Boden vor den Anschlägen des Klassenfeindes erfordert. Die Rechnung der Feinde des Sozialismus wird nicht aufgehen. Das Unterpfand dessen sind das unerschütterliche Bündnis zwischen der DDR und der UdSSR sowie das enge Zusammenrücken der Brudervölker im Rahmen des Warschauer Vertrages. Ewiges Andenken den Grenzsoldaten, die ihr Leben für die DDR gegeben haben."
Wenn also selbst Gorbatschow noch im Jahre 1986 - wohl zu seinem eigenen Schutz - derartiges schreiben mußte, wie wäre es da wohl Herrn Krenz ergangen, wenn er schon damals etwas gegen das von der UdSSR diktierte Grenzregime unternommen hätte.
Ich bin überzeugt, daß Ihnen die Urteilsbegründung und der nachstehende Sachverhalt unbekannt sind. Ich würde mich freuen von Ihnen eine Stellungnahme dazu zu erhalten.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Heinlein München