Groteske Justiz Groteske Justiz Zu: >>Mordurteil im Huhn-Prozzess<< (ND vom 6.7.): Innerhalb nur einer Woche haben das Magdeburger Landgericht (30.6.) und der Bundesgerichtshof (5.7.) im Zusammenhang mit Schusswaffenanwendungen mit Todesfolge an der Staatsgrenze der DDR zur BRD erstmals seit der Wende auf Mord erkannt. In beiden Fällen wurde Heimtücke unterstellt. Die eine Tat liegt 38 Jahre zurück, die andere 24 Jahre. Also annähernd gleiche Urteile? Weit gefehlt. In einem Falle extreme Schärfe: Lebenslage Haft. Im anderen Fall extreme Milde: ein Jahr Haft auf Bewährung. Die Differenz ist wohl nicht mehr steigerungsfähig. Wieso? Im ersten Fall hat ein Angehöriger der Grenztruppen der DDR geschossen und im zweiten Fall wurde ein Angehöriger der Grenztruppen der DDR erschossen. Und der tote Grenzer (Reinhold Huhn) ist nun mal ein Leichtgewicht auf der Waage der bundesdeutschen Justiz. Es ist grotesk, was sich der zeit in der bundesdeutschen Rechtsprechung in diesem Zusammenhang abspielt. Da die Argumentation des einen Gerichts der Argumentation des anderen Gerichts nahezu widerspricht, könnte man bald den Eindruck haben, es ginge willkürlich zu. Nur ein roter Faden bleibt: Dem Ziel der Delegitimierung der DDR ist noch jedes Urteil verpflichtet. Rolf Ziegenbein
Klassenjustiz ...So wurde kürzlich ein ehemaliger DDR-Grenzer wegen vorsätzlicher Tötung eines BRD-Bürgers an der Staatsgrenze zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, während nahezu zeitgleich dem Mörder von Reinhold Huhn vom Bundesgerichtshof eine einjährige Freiheitsstrafe ausgesprochen und zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die politische Forderung nach vollständiger Beendigung der politischen Strafverfolgung, nach Aufhebung der ergangenen rechtswidrigen Urteile und der Ausräumung ihrer Folgen für die Betroffenen und der vollständiger Rehabilitierung aller Opfer - auch der in den alten Bundesländern - behält daher höchste Aktualität. Ohne diese Schritte ist ein innerer Frieden in der Bundesrepublik schwer vorstellbar...
Der Westen log Das >>Neue Deutschland<< vom 20. Juni 1962 machte Reinhold Huhn zu einem Helden. Die Zeitung beschrieb die Tat und nannte den Täter beim Namen, legte Beweise vor, doch der Westen blieb bei seiner von Polizei und Geheimdiensten verbreiteten Version. Erst mit den Unterlagen des MfS konnte Rudolf M. rechtskräftig verurteilt werden Faksimile: ND Fernsehdokumentation. Mord an einem DDR-Grenzer Der Westen log Von Peter Kirschey Neue Deutschland, 7.7.2000 Es war alles perfekt eingefädelt, und es hätte an diesem 18. Juni 1962 eine große Medienschau mit Sekt und Kaviar im Hause des Medienzars Axel Cäsar Springer geben können. Ein Tunnelheld, der seine geknechteten Landsleute und Familienangehörigen in höchster Not aus den Klauen des Unrechtsregimes befreit und durch einen selbstgegrabenen Gang vom Springer-Gelände in die Freiheit schleust. Doch Rudolf M., der Fluchthelfer, hatte damals die Nerven verloren. Als sich der ahnungslose Grenzposten Reinhold Huhn der Gruppe auf Ostberliner Seite näherte, um die Ausweise zu kontrollieren, wie es zu jener Zeit üblich war, zog M. eine Pistole und streckte den 20 Jahre jungen Soldaten mit zwei gezielten Schüssen nieder. Reinhold Huhn verblutete innerhalb weniger Sekunden. Der frontstädtische Propagandaakt war gründlich vermasselt, der Mordschütze eilig vom amerikanischen Geheimdienst einkassiert und aus Westberlin ausgeflogen worden. 38 Jahre danach widmet sich eine filmische Dokumentation den Ereignissen an der Grenze zwischen den Berliner Bezirken Mitte und Kreuzberg ein Jahr nach dem Mauerbau. Der Streifen >>Tödliche Schüsse<< dürfte vielen Westberlinern nicht schmecken. Erfahren sie doch erstmals eine Version vom Geschehen, die im Westen über Jahrzehnte totgeschwiegen wurde. Unmittelbar nach den tödlichen Schüssen auf Reinhold Huhn wurde von der Politischen Polizei in Westberlin, die auch die Mordwaffe verschwinden ließ, und dem amerikanischen Geheimdienst eine offizielle Darstellung verbreitet, der sich dann Westberliner Politiker und Medien willig anschlossen: Danach geriet der Grenzer in das MP-Feuer seiner eigenen Kameraden. Satte Häme machte sich breit, selber schuld, wenn so einer von den eigenen Leuten umgebracht wird. Doch inzwischen kam die Wahrheit längst ans Tageslicht. Rudolf M., der Pistolenschütze, wurde vor einem Jahr vom Berliner Landgericht als Totschläger zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er ohne Not einen jungen Menschen tötete. Der Bundesgerichtshof verschärfter das Urteil am vergangenen Mittwoch in der Revisionsverhandlung und wertete die Tat als Mord, bestätigte aber das Strafmaß. In bemerkenswerter Offenheit haben die Schöpfer der Dokumentation, Rea Karen und Gernot Steinweg aus Köln, ohne sonst gängige zeitgeistige ideologische Scheuklappen ein Filmwerk geschaffen, das den Kalten Krieg als ein geschichtliches Ereignis darstellt, in dem sich beide Seiten nichts schenkten. In Interviews und Zeitdokumenten zeichneten sie den mehrmonatigen Prozeß gegen den inzwischen ergrauten Todesschützen nach, belegen, wie die westliche Seite ein Lügennetz zusammenflocht, um der Bluttat öffentliche Akzeptanz zu verleihen. Die Filmemacher lassen Journalisten zu Wort kommen, die den Prozess verfolgt haben, einen pensionierten Westberliner Polizeipräsidenten und den damaligen Pressechef des Senats Egon Bahr. Auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Front tobte eine gnadenlose Propagandaschlacht. Die Filmemacher beleuchteten, wie die Medien auf beiden Seiten auf die Bluttat reagierten. Nicht nur im Osten gab es die Einheitlichkeit der Argumentation, auch der westliche Blätterwald funktionierte nur gleichgeschaltet. Nichts von überparteilicher und unabhängiger freiheitlich-demokratischer Berichterstattung. Es ist kein geringerer als Egon Bahr, der sich zur späten Erkenntnis durchringt, damals als Regierungsvertreter Falschmeldungen verbreitet zu haben. Der rechtskräftig verurteilte Mörder allerdings, mit dem Bundesverdienstkreuz hoch dekoriert und im Film befragt, ließ bis heute nicht erkennen, dass ihm der Tod eines 20-jährigen naheging. Bis heute fehlt ein Wort des Bedauerns an die Brüder von Reinhold Huhn. Er hält sich weiterhin für unschuldig. Ursprünglich war ein 30-minütiger Film für das Schulfernsehen geplant, der SFB hat daraus einen 45-minütigen Steifen gemacht – wohl als eine späte Erkenntnis, dass auch im Osten Berlins Geschichte erlebt wurde, die nicht unbedingt der westlichen Sichtweise entsprach. Der Film >>Tödliche Schüsse<< läuft am 9. Juli um 22 Uhr in B1 sowie am 31.8. und am 7.9. jeweils um 7.30 Uhr im WDR-Schulfernsehen. BERLIN | CONFLICTS | CONTROVERSY | SOCIETY | GERMAN-REUNIFICATION | WAR & PEACE by Rea Karen & Gernot Steinweg
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Weiterführende Literatur:
Aus dem Deutschen Bundestag: zum Waffengebrauch im Grenzdienst – Debatte vom 12. Juni 1953 Als RTF-Datei runder laden
Aus dem Deutschen Bundestag: zum Waffengebrauch im Grenzdienst – Debatte vom 4. März 1964 Als RTF-Datei runder laden
Aus dem Deutschen Bundestag: Zum Waffengebrauch im Grenzdienst Deutscher Bundestag Drucksache 13/8097 Als RTF-Datei runder laden
Zum Waffengebrauch im Grenzdienst Beiträge aus der
Monatsschrift des Bundes der Deutschen Zollbeamten e. V.; Als RTF-Datei runder laden
Vorfälle an der Grenze - sachlich betrachtet Von Regierungsrat Dr. Wiegmink, Köln Als RTF- Datei runder laden
Aus dem Deutschen Bundestag: zur Postüberwachung, Debatte vom 06.02.1963 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch den 6. Februar 1963 Als RTF-Datei runder laden
Zu Anfängen der deutsch-deutschen Spionage ab 1945 Aussagen von General Reinhard Gehlen, zitiert aus seinem Buch "Der Dienst", Erinnerungen 1942–1971 Als RTF-Datei runder laden
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